Sonntag, 15. Januar 2012

Rant zum Sonntag

Mit dem Bloggen ist das so eine Sache: Um die Grenze des "Das müsste mal gesagt werden..."-Gedanken zum tatsächlichen Post zu überschreiten, braucht es einen Motivationsschub, der au s Emotion entstehen wird. Diese Emotion kann positiv und liebevoll sein (davon hörte ich zumindest mal), meiner Erfahrung nach ist sie meist eine aus Unverständnis und Kopfschütteln gespeiste "Mein Rant soll dich besseres lehren, Internet!"-Einstellung. So auch im heutigen Fall an dieser Stelle.
Es braucht viel, um mich aus der derzeitigen erwerbsarbeitsbedingten Kopfausschaltbedürfnisanstalt während marginaler Restzeitbestände zu holen, diesem durch meine Twittertimeline gespülte Blogpost zum Rückzug der Schleswig-Holsteinschen Grünen aus Facebook gelang eben dies. Womit die etwaigen Gründe die Mundwinkel hochzuziehen auch schon gezählt wären.
Auslöser meiner Aufregerei ist die Idee des Bloggers, Facebook als "Broken by design" zu bezeichnen mit der Begründung, es wäre nicht universell zugänglich, ergo die Abbildung politischer Diskurse dort fragwürdig und ein Grund Facebook aus dem öffentlichkeitskonstituierenden Potenzial des Internets auszunehmen, da es nicht die von Tim Berners-Lee postulierte "Universalität" als Basisprinzip des Internets beherzige:

"Universalität ist das grundliegende Design des Webs. Unabhängig von Hard- und Software, Netzwerkanbindung und Sprache soll es den Menschen möglich sein, jeden Inhalt in das Web zu stellen und auf eben diese Ressource zu verlinken. Das setzt zwingend Offenheit und Dezentralität voraus. Nicht ohne Grund war der Leitspruch des W3-Konsortiums, dem Gremium, das die zum World Wide Web gehörenden Techniken standardisiert, zunächst „Everyone’s a publisher!“. Jeder soll veröffentlichen können Das erfüllt Facebook nicht und ist deshalb kaputt."

Dieser Idee folgend wäre jedes "Netz im Netz" dem Prinzip der Universalität zuwiderlaufend und ein Ort des Unterlaufens von Öffentlichkeit bzw. Beförderung z.B. landespolitischer Diskurse zwischen Akteuren durch das Nichtvorhandensein von Barrierefreiheit des Publikationszugangs.
Nun ist es aber so, dass diese Idee der Barrierefreiheit die ist, die "boken by design" ist. Am griffigsten fasst es wohl die kommunikationswissenschaftliche Theorie der "Wissenslücke" zusammen: Unterschiede, die mit Alphabetisierung beginnen, über Aneignung von Bedienfertigkeiten bis zu individuell ausgeprägten Unterschieden zwischen Anwendern innerhalb ihrer technischen und intellektuellen Fähigkeiten gehen, machen die gesamte Idee der Universalität von Publikationszugang im Netz obsolet und zu einer reinen Idealvorstellung.

Anders ausgedrückt könnten sich die Grünen Schleswig-Holsteins mit der gleichen Begründung und unter gleichem wohlfeil aufgeregt tuenden Aufplustern von dem Versenden von Pressemeldungen an Zeitungen verabschieden: Schliesslich liest ja nicht jeder der so dringlich von ihnen informiert werden müssenden Menschen eben jene Zeitung, z.B. weil es sie an seinem Kiosk nicht gibt, er kein Geld hat, sie zu bezahlen oder der Sprache, in der dort publiziert wird, nicht mächtig ist.

Informationsverbreitung und Kommunikation ist und war nie eine Sache von Barrierefreiheit und kann es gar nicht sein. Das liegt in der Sache begründet, an Übertragungsfaktoren wie Sprache und technische Träger wie Medien gebunden zu sein. Fertigkeiten und Ressourcen technischer, monetärer und intellektueller Art können genauso gut als sich in den Weg von Publikationsoffenheit stellend betrachtet werden wie die Tatsache, dass Facebook eine Registrierung voraussetzt um sich dort zu exponieren und gegebenenfalls zu kommunizieren.

Was mich an der Aktion der Grünen stört, sind die Argumente, mit denen sie es tun: Niemand zwingt eine politische Partei, auf Facebook zu sein. Sie sollte es aber tun, wenn sie daran interessiert ist, Menschen zu erreichen mit ihren Ideen und glaubwürdig zu vermitteln, dass sie daran interessiert ist, eben genau dort auch stattzufinden, wo dies das Leben derer, die sie erreichen wollen, in Teilen abspielt.

Man kann nicht einem Club beitreten, dessen grundsätzlichen Beitrittsvoraussetzungen man ablehnt: Mit der gleichen Begründung könnten die Grünen Mitglied im Schützenverein werden und sich dann lautstark protestierend daraus zurückziehen, weil dort Waffen benutzt werden.

Facebook hat politischen Parteien nie eine Zwangsverpflichtung auf den Weg gegeben, dort aktiv zu sein. Es ist die Welt, in der Parteien eine Rolle spielen wollen, die sich diese Bühne gewählt hat um dort die Diskurse zu führen, die sie für wichtig erachtet. Die Konversation ist nicht barrierefrei - das war sie aber nie. Und niemand zwingt die Grünen, sie nur dort statt finden zu lassen. Es stehen ihnen Blogs, Podien und die gottverdammte Kieler Fussgängerzone zur Verfügung, um zugangsoffen ihre Ideen und Postulate mit Menschen jenseits dieses Social Networks zu diskutieren. Einen wichtigen Ort der Kommunikation aber erst ausfindig zu machen und dann wutschnaubend zu brandmarken und zu verlassen heisst, genau die Menschen, die dort gegebenenfalls noch in Kontakt mit Parteiideen kommen, zu ignorieren und hinter sich zu lassen.

Ob sie sich das wünschen, müssen die Grünen sich selbst beantworten. Ich meine, ein Akteur, der um gesellschaftliche Zustimmung buhlt, muss dort Präsenz zeigen, wo Gesellschaft stattfindet. Und das ist für immer mehr Menschen eben auch Facebook oder ein sonstiges Social Network. Das heisst nicht, die Bedingungen, unter denen dort agiert wird, kritiklos hinzunehmen. Es ist aber vermessen, die Vorteile einer Umgebung- das Erreichen derer, die man erreichen möchte- erringen zu wollen während man gleichzeitig die Bedingungen, unter denen das möglich ist, zum Teufel wünscht.