Samstag, 23. April 2011

Altersvolontariat oder: High Tea in Berlin

Die Jovialität, mit der Heinz Hormann die Hand des dalmatischen Maitres schüttelt, reserviert er sonst für mallorquinische Hoteliers, deren 2 Sterne Etablissements er beflissen nach Staubmäusen auf dem Presspappe-Kleiderschrank absucht.

Wir befinden uns beim High Tea im Kempinski Bristol in der Fasanenstraße Ecke Kurfürstendamm, ein Ort, der mich anzieht seitdem ich weiß, dass die knorkeste unter den deutschen Trivialfernsehproduzentenlegenden Wolfgang Rademann seine in Plastiktüten mitgeführten Knoblauchvorräte am liebsten dort unterbringt wann immer er Geschäfte in Berlin zu tätigen hat. Worunter unter anderem einst, in einem Land vor meiner Zeit, das Casten der großartigen Heide Keller als Chefstewardess Beatrice für die beste aller Serien, die auf einem Kreuzfahrtschiff spielen, fiel. Wenn ich meine Klatschzeitschriftenkenntnis korrekt zusammenkriege, war das nach einer Vorstellung im Theater am Kurfürstendamm (wo ich einst eine ganz fürchterliche Sommernachtstraum-Inszenierung von Katharina Thalbach sah). Ein Auftritt in einem Curth Flatow „Tür auf, Tür zu“-Stück, schon war Heides Karriere als bestens ausgeleuchtete Freundlichkeitsraditatorin an den schönsten Stränden der Welt gebongt. Ganz klar, dass diese Geschichte in mir nachhallt, denn an-eine-Reling-gelehnt-Sätze-Aufsagen-und-dabei-fürs-ZDF-gefilmt-werden ist ein Job wie geschaffen für mich: Dem Kapitän die Familienverwicklungen der aktuellen Reisegruppe mitteilen, Romantikbedürftige einander zuführen, nebenbei den bei allen Winden und Wettern in Bermuda-Shorts auftauchenden Herzensbrecher von Schiffsarzt, der sämtliche Verrentungsregelzeiten ad absurdum führt, bedeutungsschwer anstarren? Das Ganze in Uniformen, die einem Entscheidungen innerhalb der Escada-Bestände der Garderobiere abnehmen und mit einem so soften Licht, das Kosten für unvermeidbare Nasolobialfaltenunterspritzung zunächst in das Anlegen eines ausgiebigen Sektkellers gesteckt werden können: I´m so in.


Ein schüchterner, betont routiniert-angelegter Blick in die Karte – darüber hinweg täuschen sollend, dass der heimwärts getrunkene Darjeeling gewöhnlich aus Lord Nelsons Beständen stammt – offenbart den Preis für ein simples Club Sandwich mit Fritten* mit 17,50 Euro als höher als die im Vorfeld von mir im Netz recherchierte High Tea Preislage von 16,00 Euro. Wir können das nicht glauben, erst recht nicht als wir erst den Tee kriegen und dann eine Etagère mit 3 Glasstockwerken purer Köstlichkeit: Sandwiches (Räucherlachs! Käse! Nicht aus Dosen.), hausgebackene Scones, Clotted Cream und Marmalate, dreierlei Kekse, Minitörtchen mit Früchten und hausgemachten Pralinen, alles von hervorragender Güte. Als Ostdeutsche sind meine Lieblingsgeschmacksrichtungen traditionell „viel“ und „preiswert“, im Laufe meines Fortkommens als Stoffwechsler habe ich mir mühsam das Bonuslevel „bitte nicht chemisch verarbeitet“ draufgeschafft. Ich kann mich meiner Begeisterung über das Dargebotene nicht erwehren und stecke mir beherzt den Kohlehydratbedarf einer Kleinfamilie ins Gesicht.

*die ich wahrscheinlich nicht Fritten sondern „Pommes Frittes“ oder „Kartoffelstäbchen“ nennen sollte um sie dem Etablissement ihrer Zubereitung anzupassen. Andererseits: Kartoffeln, in Stäbchen geschnitten, in heißes Öl geworfen, rausgeholt, gesalzen: Fritten.


Hinter uns belehrt ein Rheinländer mit heiserer Stimme seine Frau darüber, dass Helmut Schmidt der beste Kanzler aller Zeiten sei, weil er das mit der RAF in den Griff gekriegt habe. Außerdem gut sei Gerhard Schröder wegen der ganzen Wirtschaftskompromisse. Dabei isst er ein großes Stück Käsekuchen, sie kaut was Schokoladiges. „Wes Kuchen ich ess, des Schwachsinn ich anhör.“ denke ich mir, das ssie sich denkt. Und dann: Nach wievielen Jahren gibt man einfach auf?

Am Tisch hinter uns zwei Ladies, deren Haare sich das letzte Mal im Jahr des Queenbesuchs in Westberlin frei von Schaumfestiger bzw. 5 Kubikmeter Ellness Sprühnebel bewegt haben dürfen. Sie tragen identische Handtaschen in schwarzem Krokodilleder mit goldenen Schnallen. Auch die Frisurenfrage haben beide ähnlich gelöst: Ich würde es als „Bhegum“-Look bezeichnen. Ich verneige mich innerlich, als die größere von beiden nach 2 Stunden ihre stockgerade Sitzhaltung aufgibt um mit einer Eleganz, die manch halb so alte Frau nicht besitzt, auf Pfennigabsätzen an uns vorbei zurück in ihr Zimmer zu stöckeln. Davon abgesehen, dass sie scheinbar ausschließlich Kaffee zu sich nehmen und nur dort sind, um dem Kellner Geschichten über andere Gäste zu entlocken (die Gobelin-Halle scheint eine Art Schulhof der verrenteten Besserverdienenden und ihrer Testamentsnutznießerinnen zu sein), haben sie kein Business.

Heinz Hormann bestellt das zweite Bier, der Kamin wird angezündet und unsere Aufmerksamkeit wandert zum Duo aus älterer Dame im Rollstuhl und Begleiterin, die bereits da waren als wir kamen, in ihrer Ecke sitzend ohne etwas anderes zu tun als auf die Tür zu starren und sich ab und zu zischend anzugiften. Beide sind angetan in Variationen tiermotivbestickter Wollwaren. Alles eine Frage der Prioritäten, was das Ausgeben hart ererbten und erarbeiteten Vermögens angeht: Hotelzimmer mit Marmorfurnier und komplementärer 11 Euro-Sprudelflasche zur Begrüßung oder Oberbekleidung, die nicht aussieht wie aus den Restbeständen Ceauşescus Jugendweihegarderobe, das muss sich nunmal jeder selbst beantworten. Ihr heiß erwarteter Aufenthaltsgrund in der Gobelinhalle entpuppt sich irgendwann als Endvierziger mit Samthaargummi und Lederhose, der auftaucht und die beiden abholt, vielleicht zu einem kleinen Bummel zum Sanitätshaus.


Bevor auch wir verschwinden, bleibt Gelegenheit, die Wasserrechnung des Etablissmenents zu belasten. Auf dem Weg zu den Restrooms fällt der Blick auf Vitrinen in der Empfangshalle, voller Lycra mit lizensierten Aufdrücken der Namen von Menschen, die einst tatsächlich Mode entwarfen, heute eher auf dem Lohnzettel australischer Medienoligopolisten stehen und sich mit mageren britische Filmsternchen mit ausgeprägter Kinnpartie ablichten lassen. All die Sachen sehen Original aus wie Wochenangebote von Tchibo mit einem Hauch mehr Glitzer, ein Umstand, den ich nur deswegen erkenne, weil ich aus Recherchezwecken manchmal Wochenangebote von Tchibo heimlich durchs Schaufenster beobachte. Ich rechne aus, dass ich von dem Preis für eins der rentnerfarbenen Langarmshirts 20 Etageren köstlicher High Tea Spezereien verdrücken kann. Oder ein Wochenende sehr komfortabel an die Ostsee fahren kann. Ich weiß meine Frage nach Priorität zu beantworten, allein: Sie wird mir nicht gestellt. Mein Ausflug in die Dekadenz unter Berliner Bedingungen, die unter den Maßstäben anderer Städte Discounter-esk daherkommt, endet dort und dann, an einem der ersten warmen Nachmittage 2011 in Charlottenburg. Wir zahlen den High Tea, sogar mit Trinkgeld für den Dalmatiner und lassen ihn zurück zwischen Wandteppichen und einer neu angekommenen russischen Clique. Draußen denke ich, ich würd jetzt gern einen Kaffee trinken. Aber gefiltert, bitte.