Sonntag, 2. Oktober 2011

Fragen, Antworten, Marmelade oder: Kommunikationskongress 2011

Es reicht noch nicht zur Paradoxie, bemerkenswert- zumindest für den, den´s betrifft und im Falle der Egoumstülpung Blog ist das immer noch yours truly- ist es trotzdem wenn ein und dieselbe Veranstaltung gleichzeitig Antworten zu Fragen gibt, die seit einem Jahr auf das Carportvordach der Schädeldecke hageln und manchmal mit Anlauf ins Gemüt durchschlagen während Fragen anderer Belange kolossal unterbeantwortet werden. Die Veranstaltung, die ich meine, war der Kommunikationskongress diesen Jahres, wie immer im schönen sozialistischen Prachtbau des bcc, dessen Kuppeldecke fast schon traditionell einmal jährlich als Jahresveranstaltung des Bundesverbands der deutschen Pressesprecher zum Kommunikanenstadl einlädt. Da treffen sich einige derer, die in irgendeiner Form vom Sprechen und Schreiben im Dienst eines Anderen leben. Man nennt das Public Relations Fachtagung.
Es war mein dritter Kongress und es war inhaltlich aus meiner Sicht das stärkste Jahr - z.B. weil endlich über die konkrete Anwendung von Social Media in der Unternehmenskommunikation und nicht mehr nur diffus und mit einem gewissen Frustrationsstöhnen im Sinne von "Kurzatmig, anstrengend, muss das sein?" gesprochen wurde. Bezeichnend, dass dann die aus meiner Sicht beeindruckendsten Erfahrungsberichte eben nicht von generischen PRlern kamen sondern wie im Fall von Michael Buck (@WorkingforDell) aus dem Marketing. Die PRler waren die, die nach seinem Vortrag im beleidigten Ton fragten, wie das denn sein könne, dass er da nun einfach so alleine eine Social Media Strategie aufsetzt, seine Mitarbeiter schult und sie fährt. Ich fürchte, es handelt sich dabei um die gleiche Sorte Kollegen, die nach dem Bericht von Cordelia Kroß (@Shakespdaughter) über den Einsatz von z.B. wikis in der internen Kommunikation verständnislos nachfragten, wann die BASFler denn "dann mal arbeiten" würden. Was sich hier deutlich zeigte war die immer noch existierende und in den letzten Jahren sicherlich noch gewachsene Kluft zwischen denen, die das fundamental Neue an all dem, was Netzkommunikation ermöglicht, begriffen haben und produktiv einsetzen und denen, die das nicht getan haben. Es ist der Unterschied zwischen denen, die sich von Mut steuern lassen: Mut zur Beschleunigung, Mut zum Kontrollverlust, Mut zum Vertrauen in den gesunden Menschenverstand, der im Übrigen mal eben jede, aber auch jede menschliche Interaktion ob online oder offline so gut regelt, dass es keiner hanebüchenen Social Media Conducts und weihwassernden Berater braucht und denen, die in Angst leben. In Angst vor den Aufwänden, Angst davor, die bequeme Schale ihres einmal erworbenen Wissens zu verlassen, Angst davor, den wohlverdienten Afterwork-Cocktail in alerter Position der Kommentarmoderation der firmeneigenen Facebookseite verbringen zu müssen.
Die Wiki-Frage hat mich besonders geärgert, zeugt sie doch davon, dass der, der sie stellte erstens den Begriff Schwarmintelligenz maximal mit der intellektuellen Fähigkeit der niedlichen neuen Praktikantin, was das Erstellen eines Serienbriefs angeht, in Verbindung bringt und zweitens eben nicht seinen Shirky, Bruns oder gottverdammt nochmal auch den David Hasselhoff der Internet Theorie Jeff Jarvis (only big in Germany) gelesen hat. Wikis sind eben keine Zeitverschwendung: In wikis findet das statt, was Jahre zuvor in Gruppen-E-Mails aus der Hölle- ihr wisst schon, die, die an 6 Leute gehen und dann weiss keiner, wer wem schon was geantwortet hat und antwortet zu Sicherheit nochmal, nicht aber ohne vorher noch jemanden in cc zu nehmen, der bisher gar nichts mitgekriegt hat und die bereits auf 12 "Re" angewachsenen Subject-Line um ein Weiteres bereichert- gefangen war. Wissensaustausch, in Echtzeit, nur möglich aufgrund von Teilnahmeoffenheit und Transparenz.
Die Wahrscheinlichkeit, jemanden zu finden, der profund und sachkundig eine Frage jedweder Art- "Wo ist das bunte Papier im Materialschrank?" bis zu "Habt ihr Ideen, wie ich in Sachfrage xy weiterkomme?" beantwortet, erhöht sich mit der Anzahl derjenigen, die diese Frage sehen. Diese Frage dann zu beantworten ist nicht "Zeitverschwendung" oder das, was Leute tun, während sie arbeiten sollten- es ist Teil ihres Jobs. Das heisst nicht, dass alle stets und ständig vor sich hin kollaborieren müssen - das konzentrierte Konzepten ist auch in Zeiten neuer Arbeitstools nicht obsolet- es heisst aber, diese Tools nicht per se als Spielerei und Zeitverschwendung betrachten zu dürfen. Nur derjenige, der aufmacht, interne und externe Ressourcen einlädt, ihm zuzuhören, kann vom Wissen, das er selbst noch nicht hat, profitieren.
In dem Rollenspiel "Gute Social Media, schlechtes Social Media" ist jetzt die Stelle gekommen, an der der Skeptiker den Finger hebt und stirnrunzelnd "Industriespionage" wispert, denn ein Wort diesen Ausmaßes kann man nur wispern, sonst steht ja gleich Daniel Craig im Türrahmen und seit der mit Rachel Weisz verheiratet ist, braucht das nun auch kein Mensch mehr. Ich stelle mir dann immer ein Unternehmen mit einem geräumigen Kellergeschoss, Menschen in weißen Kitteln, Namensschildern und Lebensmittelverbot am Arbeitsplatz- "Das ist keine neue chemische Verbindung, das ist ein Marmeladenfleck unterm Atommikroskop." vor. Und ich begreife, dass es Unternehmen gibt, die investitionsintensive Entwicklungen und das damit verbundene Wissen schützen wollen um davon zu profitieren. Ich verstehe nur nicht, was das z.B. mit einem gesperrten Facebook-Account auf den Unternehmensrechnern zu tun hat und der Weigerung selbst dorthin zu gehen, wo die Menschen sind, die man erreichen will und die im Übrigen die Konversation, die man verhindern möchte, längst führen, nur eben ohne aktive Beteiligung des Kommunikats.
Vom Ignorieren wird das Netz nicht weggehen. Und es braucht gottverdammt nochmal endlich den Mut, sich auf das, was das für professionelle Kommunikation bedeutet, einzugehen und dazu zu stehen, dass das Netz die Regeln ändert. So war für mich z.B. eine dieser Fragen ohne Antwort meine an Marco Dall´Asta zu den speziellen Anforderungen an Customer Care via Twitter: Die Sichtbarkeit von Information im Netz - ob "wahr oder unwahr" - und die darauf basierende Reputationsbeeinflussung eines Unternehmens sorgen in meiner Erfahrung dafür, dass Kundenservice via Social Web gegebenenfalls fixer und flexibler läuft als auf anderen Kanälen. Marco Dall´Asta bestritt dies ausdrücklich - es gäbe auf Twitter keine "Extrawürste" für Kunden, wer an der Hotline nicht weiter käme, täte dies auch nicht via Twitter - um in seinem Erfahrungsbericht zum Shit Storm...oder eher Windchen nach Fukushima aufzuführen, dass nach der auf Twitter erstarkten Kritik an den angeblichen Wucherpreisen der Lufthansa für Flüge nach und aus Japan ein komplett neues Pricing für diese Fälle eingeführt wurde. Social Media ändert also sehr wohl die Art, wie Unternehmen kommunikativ agieren müssen- schneller, flexibler und deutlich schlanker. Es bleibt im web 2.0 eben keine Zeit, jede Botschaft durch 12 interne Abstimmungen zu jagen und noch 4mal in Abstimmungsrunden den nächsten Facebook-Kommentar oder die Frage des Duzens im Corporate Blog zu diskutieren.
Die Herausforderung, die jemand wie Michael Buck begriffen hat ist, nicht die eigenen Regeln ins neue System pflanzen zu wollen, sondern sich der neuen Umwelt anzupassen und das, was an Fachkompetenz unbestritten auch im neuen Umfeld erhalten bleibt dort weiterhin anzuwenden. Mehr denn je braucht das Social Web schlaue Kommunikatoren vom Fach- wenn das z.B. bedeutet, komplexe Botschaften in klare Sprache zu bringen und als Übersetzer zwischen den Welten zu mitteln: Der des Produktherstellers oder des Programmierers und der der Person, die entnervt die App nicht laden kann oder den Flug nicht buchen oder den DVBT-Receiver nicht anstellen und in jedem Fall darüber twittert.
Kommunikation 2.0 heisst schnell und präzise relevante Informationen einzusammeln und weiterzugeben und sich bewusst zu sein, dass alles, was man sagt, gegen oder aber eben: Für einen verwendet werden kann, weil es eben das ist, was meine Banknachbarin bei einer Fachtagung mit noch weniger Antworten als der #kk2011 auf ihren Zettel geschrieben hatte: "Alles, was im Internet steht, ist dort für immer enthalten.".
So schlicht, so gut. Hoffen wir, dass wir uns in einem Jahr wiedersehen und (Achtung, Bullshit Bingo) mal auf Augenhöhe kommunizieren können: Aufrichtig darüber reden, was es heisst für uns, im digitalen Rattenrad zu sitzen und wie sie aussehen, die neuen Regeln, die aus dem neuen Ökosystem web 2.0 und professionellen Kommunikationskompetenzen erwachsen.
Ich würde mich freuen auf diese Antworten. Weil Ausrufezeichen- egal wie lange es dauert, bis sie da sind und egal, wie lange sie Bestand haben - die Lähmung des Fragezeichens lösen. Und nur so das Weitergehen möglich ist, das Werden und das Akzeptieren, das nichts bleibt, wie es war.