Mittwoch, 27. Juli 2011

Wiederentzünde mein Feuer

Keine Ahnung, ob es der momentane Countrymusikanfall meines Nachbarn von unten ist in einer Lautstärke, die auf eine wöchentlich stattfindende Line Dance Therapie schließen lässt oder der abendliche Beschäftigungszwang mit der Einkommenssteuererklärung- der zweiten meines Lebens- vermutlich ist es das sowie mein Besuch eines Take That Konzerts letzten Freitag, der diesen Blogpost triggert. Ich denke nach übers Erwachsenwerden, übers Altwerden, was das bedeutet und ob der Fakt, dass ich jetzt anfange, solche Sätze überhaupt zu schreiben darauf schließen lässt, dass es für mich sowieso längst vorbei ist mit dem süßen Vogel Colakaugummi.





Letztes Jahr im Sommer irgendwann fuhr ich mit einer Freundin an die Innenstadtperipherie Berlins, immerhin noch Tarifzone B, aber außerhalb des Stadtrings als Demarkation lebensnotwendiger Stadtbewohnerschaftsbedürfnisanstalten wie Spätverkäufen, 23 h Shops, die niemals sagen, wann die 24. Stunde ist, Programmkinos, aufgerissener Straßen, Parkbänken, auf denen sich Tagesfreizeitler jedweden Alters und Transferleistungsniveaus aufhalten, Spezialbuchhandlungen und Kaufhäuser, in denen man 22 Uhr noch Kuroswas Erstling kriegt oder die Komplettversion des Lebenswerks von Siegfried Rauch, einfach weil man Sehnsucht hat nach der zänkischen Haushaltshilfe aus "Die glückliche Familie" und Frau Burda als sie noch einer anderen reichen Familiendynastie angehörte.

Wir mussten nach Lankwitz, was rein routenplanermäßig gar nicht schlimm war, dort waren wir dank der Berliner Teilung jahrelang akademisch verhaftet gewesen, das amerikanischen Fronstadtprojekt namens Freier Universität Berlin, die prachtvolle ebenerdige Zweckbauten mit mehr Parkmöglichkeiten als Studienplätzen, gestiftet dem weltbekannten Antisemiten Henry Ford und den Dahlemer Naziwitwen vor die Tür geklotzt, hatte es möglich gemacht.

Ziel unserer Expedition war die Heimstatt eines eBay-Nutzers namens Countryballade 19ichhabdieZahlvergessen. Meine Freundin hatte ihm einen Küchenschrank abgekauft, die Art, die einem normalerweise der Vermieter stellt: Die zeitlose Schönheit, die man als mitteldichte Faserplatte kennt, weiß lackiert und halbwegs gut erhalten sollte sie für ein paar Euro nebst Selbstabholung nun Bezirk und Inhalt wechseln.

An unserem Ausflug war weniger bemerkenswert als der Nickname eben jenes Verkäufers. Noch lange nach dem erfolgreichen Stadtteilwuchten verschraubter Holzimitationen rätselten wir über den Hintergrund dieser Namenswahl.

Hatte unser Verkäufer jahrelang Jeans und Ziersporen in dem Schrank gehortet? Lederfransenjacken, deren Rücken von Strassadlern geziert waren, in denen er nachts endlos Linda Feller-Poster angesungen hatte? Und wenn, wie schmerzfrei war er um diese musikalische Vorliebe semiöffentlich beim Verkauf von Einrichtungsgegenständen ganz selbstverständlich preis zu geben?

Als ich letzten Freitag in mitten blond gesträhnter Büromädchen wie mir stand, die sich für einen Abend in ihre Jugendfantasie einer jugendlichen Affektion zu einem ihnen gänzlich unbekannten, aus Vermarktungsgründen der unterhaltungsindustriellen Verwertungslogik zur Verfügung gestellten Boys respektive Manns, der mit seinesgleichen mehr oder weniger koordiniert rhytmisch tanzt (ja, ich meine dich, Gary Barlow) zurückversetzten, kriegte ich sowas wie eine Ahnung von Countryballades Gründen.

Countryballade war schmerzfrei geworden weil Countryballade alt geworden war.

Wen kümmert es, dass alle Welt deinen nicht mehr zeitgemäßen Musikgeschmack kennt wenn alleine du ihn für zeitgemäß hältst? Weil du aufgegeben hast, dich zu interessieren, für Musik, die entstanden ist nachdem du in dem Alter warst, in dem einen noch etwas anderes interessiert als eine grundsolide Altersvorsorge und der Fälligkeitstermin der Steuererklärung. Etwas anderes als der Chromglanz des neuen Ingolstädters vor der Tür, der Geschmack einer raffiniert zubereiteten Speise oder eines Kaffees, dessen Bohnen durch Katzenmägen fermentiert werden musste, etwas anderes als der Kontostand oder die Geschicklichkeit, mit der man den eintausendundersten ganz legalen Steuertrick angewandt hat, was man natürlich sofort mit einem Glas Bordeaux beim mitteledlen Quartiersitaliener an der Ecke im Friedhof der Eigentumswohnungen feiert, aber Vorsicht, die Nomos am Handgelenk darf von der Ausgelassenheit nichts mitbekommen.

Ich war zu Countryballade geworden, das war spätestens dann klar, als ich nach einem Set neuer Lieder meine Enttäuschung über das nochnichtabgefeierthaben von "Relight my fire" oder der Originalchoreographie von "Pray" kaum noch Einhalt hatte gebieten können.

So sind sie, die alten Menschen. Sie gehen raus, und wollen nichts Neues hören.

Immerhin rächte sich meine Frühvergreisung als ich, in einer dank der katastrophalen Besucherleitung der Imtech-Arena Organquetschungsprozedur namens Transferbusschlange feststeckte und die besoffenen Trottelboyfriends der anderen Mainstreammädchen prustend "Kein zweites Duisburg" brüllten weil das ja wirklich wahnsinnig komisch ist. Wie man sich Tickets kauft, so steht man, dachte ich.

Und so sieht er eben aus. Der Hauptstrom. Da fällt mir ein, dass ich vergessen habe die Absurdität einer Anzeige für das Dockville Festival zu fotografieren, auf der einer der 10 größten Bierbrauer Deutschlands tönt, Mainstream wäre ja nur was für die Anderen.

Die Frage ist natürlich, ob es eine realistische Alternative zur Frühvergreisung gibt. Ich hatte mal einen Kollegen, der hat sich jährlich von seinem jüngeren Bruder ein Mixtape mit den größten musikalischen Erfolgen des aktuellen Jahres zusammenstellen lassen um auf dem Laufenden zu bleiben. Darüber hinaus gibt es Menschen, die diese Musik dann nicht nur hören, sondern auch versuchen so zu sprechen oder zu kleiden wie die, die diese Musik machen.

Wie oft alleine das Wort "chillig" aus dem Mund eines Generationsgenossen Udo Lindenbergs mich zwang, ein betretenes, aber nachsichtiges Lächeln ob dieser Anbiederung an vermeintlich noch zur eigenen Alterskohorte zugehörige Gruppen walten zu lassen, kann ich nicht mehr zählen.

Am Ende liegt die Kunst wahrscheinlich irgendwo zwischen dem Sich interessieren für die Gegenwart, einer amnesischen Gemütshygiene, was die Vergangenheit angeht und Gleichmut gegenüber der Zukunft in dem Maß, in dem es ein paar Stunden gesunden Nachtschlaf ermöglicht.

Oder eben im Kauf von Lederfransenjacken mit Adlermotiven. Never forget!

Montag, 25. Juli 2011

This is my blog so I can post emo shit whenever I want. Ha!

"Und die Jahre die wir brauchen bis wir uns davon erholen ziehen vorbei wie fremde Koffer auf dem Band in Charles de Gaulle."

Donnerstag, 21. Juli 2011

And you can tell everybody this is your song

"I hope you choke on your Bacardi and Coke.". Or J&B for that matter.

Montag, 18. Juli 2011

Freitag, 15. Juli 2011

Königskinder

Hochzeitsrede, erster Entwurf

Das eigentliche Versprechen der Ehe ist nicht: "Ich werde nie eine andere Person finden, mit der ich lieber zusammen sein will als mit dir." sondern: "Wenn das passiert, werde ich daraus keine Handlungen ableiten."

Ergänzung: Die individuelle Abwesenheit von Happy Ends ist nicht mit ihrer grundsätzlichen Unmöglichkeit gleichzusetzen.

Mittwoch, 13. Juli 2011

Dienstag, 12. Juli 2011

Ausser Sichtweite

Netz macht, dass du deine Bekanntschaften splittest in Virtuelle und Analoge.

Mobiles Netz katalysiert die Schnittmengenherstellung, einmal nach Irgendwem zum Kaffeetrinken in Irgendwo fragen, Schwups kriegst du Irgendwas, mindestens aber erstmal einen Kaffee in Irgendwo. Oder Kekse aus Irgendwo. Tweetup, heißt das dann, analoger Brennwertgewinn durch digitale Vernetzung.

New Year's Eve, NYC, 1965 (Kiss me, stupid)

Wir kaufen mobilen Zugang zur permanenten Verfügbarkeit und zum Verfügungstehen unserer Lifelines: Den professionellen, den emotionalen, den höheren Gewalten (wetter.com).

Wir kleben an Geräten, senken den Blick, um in so einer digitalen Erbaulichkeitskrücke von 140 Zeichen zu lesen: „Blick heben!“. Die Verarbeitung dieser Daten nimmt die Zeit in Anspruch, die wir nutzen könnten, eben dies zu tun: Den Blick zu heben und wenn schon nicht schweifen zu lassen, dann mal rüber zu wuchten, zu unserem Gegenüber. Alas poor us: Er scrollt durch seine iTunes.

Mit anderen Worten: Ich glaube, ich schaue zuviel auf Bildschirme.

Der Witz an der Mobilität und der Dynamik ist, dass wir sie beherrschen müssen, um Stabilität zu wahren: Die unserer Existenzsicherung, Beziehungen, der gottverdammten Parkkarte für dein Auto, die immer nur für ein Postleitzahlengebiet gilt und nein, es zählt nicht, dass am Samstag keine Straßenverkehrsämtliplakettenstelle Zeit für dich hat.

Um zu sichern, was ist: Monetär, Emotional, musst du dich bewegen.

Wer das bezweifelt, stand noch nie an einem Sonntag Abend auf einem Bahnsteig und sah die vielen hauptberuflichen Mischgewebsträger, wie sie die Nasen aneinanderreiben bevor sie sich einmal mehr für 5 Nächte in jeweils anderes betitelte Orte mit Stadtrecht, Bahnanschluss und fakultativ Landesregierungssitz zurückziehen. Damit A und B sich in C treffen können, müssen sie genug Geld verdienen, um Bahnfahrten und Zweitwohnsitze zu finanzieren. Weil A keinen Job in D, der gemeinsamen Heimatstadt findet und B sich gerne die Geschichte über sich selbst glauben würde, eine im Grunde genommen unabhängige, weltinteressierte und für neue Eindrücke offene, ihnen geradezu nachhungernde Person zu sein, wählt man nun Option E: Elend Wochenendbeziehung.

Das Glück in Minuten, irgendwo zwischen Trockenreinigung, Steuererklärung und Zoobesuch mit Patenkindern.Was das bringt? Ein volles Meilenkonto, einen konfusen Kopf, Erledigungen on the go, ständige Verfügbarkeitserwartung an sich selbst und Andere, kein Ankommen, nirgends.

Wenn ein mit dem großen Löffel gegessenes Leben bedeutet, sich einzulassen, bedeutet das eben auch: Nicht mehr rauskommen aus den Chosen. Oder unter Windungen. Oder dem gewunden werden. Die Hoffnung bleibt, das man so verdreht noch den Refresh-Button findet.


Montag, 11. Juli 2011

Something old, something new

Eine der neuerdings immer mal wieder in meinem Bloggesichtsfeld auftauchenden Irrungen ist, dass Nonkonformismus, Angstfreiheit, Respektlosigkeit oder die Annahme von Existenzspielarten jenseits der heterosexuellen Festverpartnerung ein Attribut der Jugend sind. Ich glaube an das Gegenteil: Ich glaube, mit dem Alter fallen ja erst die Hemmungen. Die Tragik liegt darin, dass, wenn es soweit ist, es keiner richtig genießen kann weil eben innere und äußere Verfasstheit der Lebensjahre eklatant voneinander abweichen. Wer will mutige Best Ager sehen?


Dabei ist diese "Ich fühl mich anders alt als ich bin"- Problematik kein Privileg des "Ich bin alt und fühl mich jung": So kenne ich aus Mitbürgergesprächen, u.a. mit meinem Spiegelbild, das leichte Unwohlsein, dass sich einstellt, wenn man zwar wie 28 aussieht, aber innerlich an der Grenze zur 75 kratzt. Diese nagende Stimme, die dich fragt, warum du jetzt „Goodbye Deutschland“ guckst und nicht in einer ehemaligen Fabrikhalle zu elektronischer Musik in gesundheitsgefährdender Lautstärke Körperflüssigkeiten mit bevorzugt Nichtmuttersprachlern austauschst, während dir links ein als Eichhörnchen verkleideter Körperjuwelier den Innenschenkel oberflächenpierct und rechts die Suspension eingezogen wird für deine Performance, die du nebenbei planst: Tagsüber reist du selbstverständlich zu Gleichberechtigungs-Barcamps, baust Schulen in Asien oder gehst auf einen 16 wöchigen Wandertrip durch Kolumbien ohne ein Wort Spanisch weil dein Lächeln reicht, eine Entführung zu unterbinden, selbstverständlich nur, bis der Studienplatz Medizin in Harvard frei wird und du die Aidskur findest.



Der Witz ist, dass die Gelassenheit, die du bräuchtest, das Jungsein nicht zu fürchten sondern einfach nur zu genießen mit all den schwachsinnigen Aktionen, all der sinnlos investierten Energie, dem Hedonismus, dass die erst in dem Alter kommt, in dem du damit, mit Gelassenheit und Angstfreiheit ob der Konsequenzen der erfüllten Bedürfnisse, Schaden anrichtest.



Oder, wie es einer weiß, der es wissen muss, ausdrückt: "Die Autos, die nur gut an jungen Menschen aussehen, kannst du dir erst leisten, wenn du alt bist." Ganz zu schweigen von drohenden Bandscheibenvorfällen beim Einstieg in einen Roadster. Der Cayenne ist doch nichts anderes als die Antwort Zuffhausens auf das Bedürfnis alter Menschen, in einem jungen Auto zu sitzen und es v.a. auch wieder verlassen zu können ohne sich einer Massage (nicht mal Thai) unterziehen zu müssen.


Hat das Handeln nun aber Konsequenzen, steht mehr auf dem Spiel und geht, dank dem im Alter erworbenen Hang zum I dont give a fuck mit grundsätzlichen Veränderungen an Familienstand, Wohnort, Tätowierungsgrad einher, so wird dies häufig mit dem Begriff des gescheiterten Lebensentwurfs in Zusammenhang gebracht. Das Wort vom "Entwurf" wird immer erst dann benutzt, wenn das Scheitern bereits vorbei ist, das heißt, vorher war es kein Entwurf sondern Dogma.


Es scheint, als müsse mit dem Begriff des "Entwurfs" begrifflich retrospektiv die Welt gerade gerückt und auf Schienen für die nächste Testfahrt gesetzt werden: Sorry, war nicht so gemeint, kann ja mal vorkommen, trial and error, das Dogma zu haben war aber prinzipiell korrekt.


Da das aber das Prinzip Leben ist, in Ungewissheit aller Variablen das zu wählen, was plausibel, bequem und zumindest nicht schmerzverursachend erscheint, aber eben nicht in Gewissheit aller möglichen Alternativen erfolgen kann und daher immer nur Entwurf oder eine mögliche Alternative zu vielen anderen sein muss, kann man den „Entwurf“ auch weglassen. Es ist nicht der Entwurf gescheitert, es ist eine Versuchsanordnung abgedampft. Weil Leben unkontrollierbar ist. Und ein Enwurf eben genau in Annahme der Kenntnis möglicher Variablen erfolgt.


Genau genommen ist es ja nicht so, dass wir losgehen und sagen, wir entwerfen jetzt mal ein Leben. Im Regelfall tun wirs einfach, wir leben so vor uns hin. Machen das, was sich richtig anfühlt oder mindestens bequem und allermindestens nicht wehtut, es sei denn, Masochismus herrscht.


Womit wir wahrscheinlich doch der Begründung für junge Autos an alten Männern auf die Schliche gekommen wären: Es sind die mangelnden Stoßdämpfer, die zwei Tage Krummrücken nach einer Fahrt durch die Innenstadt.


Was macht eigentlich Ulf Porschardt?