Samstag, 26. Mai 2012

Die Korrekturen

Das Schöne an Blogs ist, dass man damit Dinge schreiben kann, die woanders keine Chance darauf haben, gehört zu werden. Wie wertvoll das ist, was Sascha Lobo die "Seele von Social Media" nennt weil es den Einzelnen eine Stimme gibt, erfahre ich heute am eigenen Leib.

Gestern erreichte mich eine e-Mail von Edith Hollenstein, Redaktorin beim Schweizer Medienbranchendienst persoenlich.com. Sie bat mich um eine Stellungnahme bezüglich meines beruflichen Wechsels, da sie darüber eine Meldung verfassen wollte. Soweit, so gut. Ehrlich gesagt war (und ist) mir nicht klar, warum der Wechsel eines solchen Social Media-Leichtgewichts wie mir eine Meldung in einem Branchendienst wert ist, aber gut. Die NZZ ist die Schweizer Publikation mit der grössten internationalen Strahlkraft, sie steht für 232 Jahre Qualitätsjournalismus. Sie hat eine Flughöhe, die dann offenbar auch Mitarbeiter wie Community-Redaktoren zu interessanten Gegenständen von Branchendiensten macht.

Umso wichtiger war mir, ein Statement beizusteuern, das meine Haltung klar widergibt. Folgende Korrespondenz führte ich mir Frau Hollenstein:




Was wurde daraus bei persoenlich.com? Zwei Fehler und eine Verkürzung meiner Aussagen. Und kein Wort meiner Mail wurde verwendet.

Zunächst mal wurde aus mir "Frau Leupold". Kein unverzeihlicher Fehler, allerdings schon absurd insofern, als dass mein Name zweimal deutlich in unserer Korrespondenz sichtbar ist. Und auf meinem Twitterprofil, von dem Frau Hollenstein wahrscheinlich den Link zum Blog hatte, den sie dann für den Artikel, den sie schrieb, benutzte.

Zweite Überraschung: Sie bittet mich um eine Mail, um dann keines meiner Statements zu verwenden. Stattdessen wurden zwei Sätze aus meinem Blogpost "Uff" genommen, angereichert um Sätze, die bestenfalls Vermutungen sind wie "Ausserdem wird deutlich, dass Leupold in Zürich nicht ganz glücklich wurde und sie Berlin vermisst."

Mich würde interessieren, was genau Frau Hollenstein zu ihrer ersten Aussage in diesem Satz bewegt. Für alle, die es interessiert, gibt es hier noch mal meinen Blogpost zum nachlesen. Ich schreibe darin u.a. "Ich habe in der Schweiz ganz grossartige Menschen kennengelernt, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen. Leute, die an mich und meine Fähigkeiten geglaubt haben, als ich mich auf feste Jobs bewarb mit frischen Examen und Studentenjoberfahrung" . Ob in Aussagen wie diesen das blanke Unglück über meine Zeit in der Schweiz durchscheint, müssen die bewerten, die sie lesen. Ich glaube, Frau Hollenstein irrt sich. Und ich glaube, sie macht das auf Kosten journalistischer Sauberkeit. Und ich finde das nicht gut.

Noch eins: Dass Aussagen wie "Doch, dass sie gerade jetzt, nur gerade eine Woche nach dem Ende ihrer dreimonatigen Probezeit, kündigt, ist ärgerlich" schlichtweg falsch sind, hätte Frau Hollenstein bemerkt, wenn sie mal nachgefragt hätte. Ich habe genau zum Ende meiner Probezeit gekündigt.

Und das nach langen Abwägen, Überlegen, Ringen. Dies darzulegen, versuchte mein Blog. Frau Hollenstein hat ihn erfolgreich ignoriert.

Ein Gutes hat die Sache: Sie kann mir zukünftig als negative Benchmark zum Thema "Journalistische Recherche im Social Web" dienen. Danke dafür.



Udpate 27.05.: Frau Hollenstein hat mir gemailt. Sie wird meinen Namen korrigieren und ein Zitat meiner Mail verwenden. Find ich souverän und gut.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Uff

Und dann ist es raus. Die Entscheidung, mit der du dich seit Wochen gequält hast. Die du getroffen, verworfen und wieder getroffen hast. Die mehr betrifft, als dein berufliches Fortkommen. Die dich hat Zweifeln machen an der Wahrnehmung deiner Integrität. Die deinen Freund betrifft. Die deine Familie betrifft. Die die betrifft, die Vertrauen in dich gesetzt haben und setzen.

Ich habe mich heute entschieden, nach knapp einem Jahr in Zürich wieder zurück nach Berlin zu gehen. Ausschlaggebend war ein Angebot von Wolfgang Blau, ZEIT ONLINE als Social Media-Redakteurin zu unterstützen. Mal davon abgesehen, dass es das Ego kitzelt, wenn man gefragt wird, ob man einen Job machen will, hat es mich sofort gereizt,  ein Projekt wie ZEIT ONLINE zu unterstützen, das in meinen Augen schon so vieles so richtig macht, was Journalismus im Jahr 2012 angeht. Ehrlich gesagt war ZEIT ONLINE für einige meiner Ideen für NZZ.ch Benchmark: Leserbeiträge, smarte Kommentarthreads (neben denen, die Sascha Lobo in seiner SPON-Kolumne treffend als "Digitale Spiesser" des simplen Rechthabenwollens bezichtigte. Eine sehr erkenntnisbringende Typisierung von Online-Kommentatoren findet sich in der Präsentation meines zukünftigen Kollegen Sebastian Horn), Blogs mit mehreren Autoren, Redakteure, die mit Nutzern über ihre Arbeit kommunizieren.  Wie kann man ablehnen, wenn der Klassenprimus anruft? Der Reiz ist gross. Genauso gross wie vor sechs Monaten, als ich mich bei NZZ.ch bewarb und in zwei ziemlich krassen Bewerbungsrunden (u.a. mit dem fabelhaften und aus Sicht eines Bewerbers leider sehr kenntnisreichen Peter Hogenkamp) meine Eignung und meine Motivation darlegte, ein Traditionshaus wie die "Alte Tante" fit für das Social Web zu machen.

 Was fehlen wird: Blauer Himmel. Viel davon.

Ich habe mich damals, wie auch bei meinem ersten Job in der Schweiz, gegen Schweizer Bewerber durchgesetzt. Genau das ist ein Faktor, der mich intensiv über meine Entscheidung nachdenken liess. Denn er spielt in das komplexe Thema "Deutsche in der Schweiz", zu dem ich ein andernmal ausführlicher bloggen will. Wenn ich einen Job kündige, bei dessen Besetzung ich mich gegen Schweizer durchgesetzt habe, dann sendet das gegebenenfalls das Signal: "Auf Deutsche kann man sich eh nicht verlassen."

Mir würde es weh tun, als ein Vertreterin der von Schweizern beobachteten Spezies "Kommt her und haut ab, sobald sich Gelegenheit ergibt" wahrgenommen zu werden. Ich habe mir meine Entscheidung nicht leicht gemacht. Ich gehe nicht, weil ich "mit der hiesigen Art" nicht zurechtkomme, wie mir gegenüber von (wohlmeinenden) Kollegen vermutet wurde.

 Was fehlen wird: Schöne Stadtansichten.

Ich habe in der Schweiz ganz grossartige Menschen kennengelernt, Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen. Leute, die an mich und meine Fähigkeiten geglaubt haben, als ich mich auf feste Jobs bewarb mit frischen Examen und Studentenjoberfahrung. Ich habe in Zürich und in Bern zwischenmenschlich nichts erlebt, was ich nicht auch wo anders hätte erleben können. 

Nichts? Fast nichts. Ab und zu schien es durch, der kleine Unterschied. Das Deutsch-Sein. Ich habe unterschätzt, was es bedeutet, professionell in einem Land Kommunikation zu betreiben, dessen Sprache du nur zu sprechen glaubst. Es bedeutet das Erleben von Reibungsflächen. Wenn man Online arbeitet, tendiert man dazu, das Internet und eben nicht nationalsprachliche Grenzen als Leitplanken der eigenen Arbeit anzusehen. Dass dies falsch sein kann, erfuhr ich, als ich das erste Mal "Redakteur" statt "Redaktor" schrieb oder Formulierungen, die ich für das Community-Management verfasste, als "zu Deutsch" kritisiert wurden.

Das sind aber keine Dinge, die mich zum Weggehen gebracht haben. Ich mache mir noch meine Gedanken um diese Dinge. Ich habe kein Kopfschütteln, kein Zähneklappern, keine Ablehnung, aber auch keinen Beifall dafür parat. Ich muss darüber nachdenken, wie ich was finde, denn die Dinge sind komplex. Das ist banal, aber wahr. Es gibt nicht "Die Schweizer" hier und "Die Deutschen" da. Es gibt überhaupt nicht sowas wie "Die".

Was fehlen wird: Das Lächeln im Service.

Ich gehe nicht, weil Zürich mich wegstösst. Ich gehe, weil Berlin mich zieht. Weil die Grösse der Stadt mir so fehlt. Das Eintauchen in den Moloch. Die breiten Strassen. Die schnellen Trams. Das Radfahren ohne hügelbedingten Zwang zur Mountainbike-Ausdauer. Die Ringbahn (wenn sie denn mal fährt). Das Gefühl, morgens aufzuwachen, und nicht zu wissen, was Abends ist. Die Stadt, in der du, wenn du es willst, Nachts um 4 Uhr Milch kaufen kannst. Oder Klebestreifen.  Oder Hefeweizen. Oder alles zusammen. Die Stadt, in der so viel schief geht, dass alles andere als Gelassenheit zu einem frühen Herztod führt. Die Stadt, die mir fehlt.

Und jetzt: Durchatmen.
 Was verdammt fehlen wird: Der See.