Dienstag, 28. April 2009

sidetracked by life

Yoga versucht mich den Gleichmut zu lehren, den ich brauche, wenn mir Zumutungen begegnen wie die langsamste Kassiererin des Planeten, die im Kaisers im Hauptbahnhof arbeitet. Ich rede von einer Frau, die Cent-Stücke einzeln in der Hand betrachtet und wahrscheinlich mit der anderen unterm Tisch zählt weil sie der Digitalkasse nicht traut, an der sich die Schlange mittlerweile bis in den Bereich der überteuerten Fantasiebackwaren im Eingangsbereich 50 m weiter hinten aufbaut. Das macht sie jeden Sonntag, d.h. immer dann, wenn die dem Bahnhof ohnehin eigene Hektik durch Pendelei und Menschen mit dem zweifelhaften Hobby "Mal gucken, wie geschäftsoffener Sonntag aussieht" ins quasi Unerträgliche gesteigert wird. Inzwischen glaube ich, Teil eines perfiden joint ventures der Beobachtung von Sozialverhalten unter Zeitdruck geworden zu sein. Ich überlege noch, welche Psychologen ruchlos genug wären, mit den wahrscheinlich stolz auf das Casting einer solch unfähigen Kassiererin sich die Hände reibenden Kaiser-Chefs zu kollaborieren, könnte mir aber auch vorstellen, dass Kurt und Paola Felix dort Material für einen etwaigen Internet-Kanal mit neuen Wahnsinnssketchs der Versteckten Kamera sammeln. Digitales Erlösmodell: Quäl per view. Dieses Wortspiel schütze ich mir hiermit selbst.
Weitere Ärgernisse der vergangenen Woche bestanden aus dumpfen Reaktionen von Menschen, mit denen man das Konto teilt, das mich unterbezahlt, also Kollegen. Kostprobe: "Du solltest jemanden heiraten, der "von Osten" heißt...weil das ja dann stimmt.". Richtig, das Nichtabstreiten bzw. Nichtpeinlichfinden der Ostherkunft macht mich quasi zur Super Illu meines Arbeitgebers. Ich halte das für übertrieben und bin erschüttert ob des Humorniveaus, das ich nur minimal über Mario "Kennste?" Barth verorte.
Besser als das war die Freizeitgestaltung in Form von "The Boat that rocked", das mich wiedermal dazu brachte, Bill Nighy als Lebensbelustiger anstellen zu wollen. Aber nur, wenn Richard Curtis ihm die Witze schreibt. Außerdem war ich endlich mal in einem Zustand im Rosis, der es mir erlaubte, den Aufenthalt per se wahrzunehmen. Hervorragend, wie dort das Hexenhausset aus "The Blair Witch Project" originalgetreu nachgebaut wurde inklusive kleiner Handabdrücke an den Wänden, die eventuell auch von meinen mir im Tischfussball unterlegenen und deswegen sich vor Scham in die Ecken stellenden Begleitern stammten. Mit anderen Worten: Ranzig, aber sympathisch, auch und vor allem, weil ich dort Menschen im Tischfußball bezwingen kann ohne von Horden sich selbst als "Kreuzberger Atzen" bezeichnenden Jungs in ihren frühen Zwanzigern alleine von Testosteronausdünstungen darniedergeknüppelt zu werden (zuletzt hier passiert mit Menschen, die der Kobold mitgebracht hatte und die sehr emotional wurden als ich ein verdammtes Tor schoss).
Weitere Lebensablenkungsstrategien der vergangenen Wochen bestanden im (mehrfachen!) Besuch Buckows, wo ich inzwischen Rabatt für den Besuch von Bert und Hellis Sommerhaus kriegen sollte. Was soll ich sagen: Es sind die verzweifelten Versuche, beim Verspeisen des vorzüglichen Kirschkuchens in einem wundervollen Garten einen der (vorzugsweise männlichen und ledigen) Brecht-Nachkommen (leben NEBEN dem öffentlich zugänglichen Haus) auf mich aufmerksam zu machen, zur Ehe zu zwingen und dann das einzige Anwesen, das mich (v.a. aufgrund seines direkten Seezugangs) dazu bringen könnte Kommunistin zu sein (unter Brechtschen Voraussetzungen freilich, d.h. meins bleibt immer meins und Volkseigentum sollen die anderen unter sich ausmachen) zu beziehen. Es gelang mir bisher nicht, d.h. ich muss noch ganz schön oft fahren...was schwierig wird ohne Auto. Vielleicht kann ich das Auto, das ich Freitag zu mieten gedenke als "Opfer des 1. Mai" deklarieren, heimlich aber gar nicht anzünden lassen sondern im Unterholz am Ostbahnhof mit Perücke versehen und später nutzen. Diesen Plan gilt es auszuarbeiten.
Noch was in eigener Sache: Die gmx-Adresse ist kaputt. Ja, ich habe das Passwort versimst. Nein, ich kann gmx nicht fragen, was das Passwort ist, weil ich mir das schon mal hab sagen lassen. Ja, ich habe es dann wieder vergessen. Nein, das ist keinen Grund meine Zurechnungsfähigkeit anzuzweifeln. Zumindest kein hinreichender.
Update: Ich hatte vergessen, eine sehr romantische Anekdote des Abendessens in Buckow zu berichten. Der Besuch und ich ergötzten uns an Spargel und einem hervorragenden Erdbeereis, das aufs Haus ging, ein weiterer Grund, diese Stadt zu lieben.
Dabei hatten wir ungefähr diesen Blick:



Mit Sonnenuntergang.

Das Gespräch wurde entsprechend emotional.
Ich: "Ach, wie schön."
Besuch: "Mhm."
Pause
Ich: "Nächstes Mal esse ich den Schwan."
Besuch: "Jetzt gegen Abend kommen die Mücken so nah am Wasser."

Zur Erklärung: Gemeint war der Dessertschwan Gustav, der für läppische 2,50 Euro mein Herz sofort eroberte, wie er so in der Kuchentheke mit Seeblick stand.



Wenn erstmal richtig Krise ist und ich doch echte Schwäne schlachten muss um zu überleben, stelle ich mir das Herausholen der Innereien bildlich in etwa so vor, wie auf diesem unschuldigen Puderzucker bestäubten Brandteigobjekt. Welch Ironie.

Mittwoch, 15. April 2009

Krise, Schmise.

Selten habe ich eine exaktere Umsetzung meiner Gedanken zur Finanzkrise gesehen:



Ich möchte, dass diese Frau mit diesem Statement zu Maybrit, Sandra, Lutz-Inge Plasberg und allen anderen Moderationsplacebos der Nation, ach was, der Welt geht um endlich mal den kleinen Mann auf der Straße, also mich, die große Frau im Schuhladen, zu repräsentieren. Mir egal, ob mich das wie eine Hera Lind-Figur wirken lässt, aber das Geseire von der Krise interessiert mich nicht. Ich war nie reich. Ich kenne niemanden, der reich ist. Die Stadt, in der ich lebe, ist der Gunther Gabriel der Weltmetropolen (in mehr als nur der pekuniären Beziehung, siehe z.B. Ästhetik: Vorliebe für Denim, Weltanschauung: Selbstüberschätzung ). Die Stadt, in der ich geboren bin, ist berühmt für den robusten Umgang mit Staatslenkern (werden entweder mit Eiern beworfen oder es wird direkt versucht, das höchste Amt des Staates zu unterwandern mit einem stadtbekannten Alkoholiker) und beschäftigt sich ansonsten mit Schrumpfen und der Verwaltung des daraus resultierenden Notstands. Dort läuft im einzigen Radiosender für Menschen mit mehr als 2 Hirnzellen schon morgens Moll. Das ist so, seit ich denken kann. Umso absurder ist es, diesen mir sehr bekannten Hang zur Misantrophie nun als Folie sämtlicher Weltberichterstattung zu sehen. Mir fehlt einfach der Nerv für einen RTL Punkt 7-Bericht mit dem Aufhänger "Ostern in der Krise", der diese ernsthaft daran festmacht, dass die gezeigten armen Opfer der Finanzspekulation nur noch nach Kiel fahren können und halt nicht nach Mallorca. Mal davon abgesehen, dass eine 7tägige Pauschalreise nach Cala Millor wahrscheinlich billiger (und sonniger) ist als eine Woche Fischbrötchen in einer zugigen Ferienwohnung an der Kieler Förde, wirkt ein Statement über Armutsangst unglaubwürdig bis lächerlich wenn es von jemanden in Gerry Weber-Steppjacke kommt.
In anderen Neuigkeiten habe ich die angedeutete Klausur geschrieben bzw. irgendwas geschrieben, 4 Stunden lang, und sogar abgegeben. Als größtes Problem entpuppte sich die Klausuraufsicht in Gestalt eines leicht nervös wirkenden Geisteswissenschafts- Dozenten, der peinlichst darauf bestand, nie mehr als 2 Leuten gleichzeitig zu gestatten den Raum zwecks Toilettengangs oder verzweifelten Stirn an die Wand-Schlagens (oder beides) zu verlassen. Ist klar. Weil sich angehende Ethnologen und Philosophen so gut helfen können und im Laufe ihres Studiums nie über den Status von lernfaulen 12jährigen hinausgekommen sind. Bis auf diese Absurdität, die Tatsache, dass das nächste Klo 15 Minuten vom Klausurraum entfernt sowie UNTERIRDISCH lag (ja, die 70er Jahre waren eine schlechte Zeit für die Planung öffentlicher Gebäude...irgendwie waren da alle Verantwortlichen entweder berauscht oder verreist) und den Typen vor mir, der penetrant und beständig eine Tupperdose nach der anderen mit schimmligen Bananen leerte, war alles in Ordnung. Jetzt fehlt nur die Nachricht, dass meine Ergüsse in der Hauspost verloren gegangen sind, um den Krisenkreis doch noch vollzumachen.
Ich werde darüber zu berichten wissen und bis dahin so machen:


Freitag, 3. April 2009

Creolisches Rehgulasch

Eines der Dinge, die ich kaum bis gar nicht beherrsche, ist die Fokussierung. Wäre dies eine studi-vz-Gruppen-Bezeichnung, würde nach dem ersten Satz "Oh, ein Vögelchen." stehen. Die mir angeborene Klasse verbietet es mir, solch derben, durchsichtigen Scherz zu treiben. Wobei ich bei der Frage wäre, welches Verb tatsächlich hinter Scherz gehört hätte und mich auf ein weiteres Bein (so heißt das, fragt Peter Maffay oder Celine Dion oder wie sonstwen auf Welttournee) meiner großen Selbstablenkungstournee ins Internet begebe.
Jedenfalls gäbe es gerade deutlich wichtigere Dinge tu tun als zu bloggen. Zu lesen, zu lernen, eine Klausur von 4 Stunden vorzubereiten, die ich spaßeshalber gerade mal so vorgeschrieben habe, wobei ich auf das überwältigende Ergebnis von 2 A4Seiten kam. Immerhin vorne und hinten beschrieben. Das sollte reichen, um ein Achtel meiner Magisterprüfung zu erledigen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass zwecks Erlangen des Bachelortitels meines Studienfachs eine Arbeit von 25 Seiten nötig sind, das entspricht dem Umfang einer Hausarbeit im Hauptstudium eines Magisterstudenten. Eine. verdammte. Hausarbeit. Für einen. verdammten. akademischen. Titel. Von Unfairness zu sprechen, wäre natürlich kindisch und unangebracht, denn wir lernen ja fürs Leben und um Gerechtigkeit gehts sowieso nicht, eher um Gleichmut und Karma und flexible Rückenmuskeln als Rüstzeug für eine Laufbahn im mittleren Management, von der wir uns optimalerweise irgendwann selbst einreden, das sie die Erfüllung unserer Träume ist. Die faulen Kompromisse, die Strategien der Selbsttäuschung, es ist wohl angenehmer und psychologisch gesünder, sich ihrer nicht bewusst zu sein, sprich, doof, aber glücklich zu bleiben. Immerhin entspringt solcher Ignoranz stets das Potential zu Zitaten mit hohem Unterhaltungswert, wie ich erst kürzlich beim Besuch einer Art Werbeveranstaltung einer deutschen 4-Sterne-Hotelgruppe erleben durfte. Der Spaß, zu dem mich die Aussicht auf Gratiscatering verlockt hatte (ja, ich bin Opportunistin und insofern Teil des Problems, das ich beschreibe aber immerhin habe ich kein dickes Sommerhaus mit Privatbootssteg während ich gleichzeitig die Gleichheit aller Menschen beschwöre. Ja, ich spreche von dir Brecht. Ja, ich weiß, du bist tot und ja, ich weiß, die Tennisschuhe hat Heli ausgesucht, das stand auf den Merktafeln im Sommerhaus. Schön dort.) gestaltete sich so, wie ich mit Heizdeckenverkaufsveranstaltungen vorstelle, wobei die Heizdecken das jeweilige Hotel der Kette in gefühlt 64 Ländern der Erde (jedes Hotel wurde mit einer Art Werbefilm vorgestellt, auch und vor allem schön beim Hotel in Bejing, das bisher nur aus einer Computersimulation bestand) waren und das Publikum immerhin nicht eingesperrt in einem zwielichtigen Landgasthof kurz hinter der polnischen Grenze sondern nur mit Essensvorenthaltung zu Gunsten der Ausführungen eines mit der deutschen Sprache und der eigenen Schamlosigkeit kämpfenden ...Conferencier (?) aus Darmstadt gequält wurde.
Ich ahnte, in welche Richtung der Abend tendierte, als sich der Direktor der Teneriffa-Dependance der Kette in balearer (balearischer?) Inseltracht auf die Bühne stellte, wobei sein Auftritt unbestritten der schillerndste unter den versammelten Direktoren der Kette war, die, alle 6325 unter immer spärlicher werdenden Applaus, einer nach dem anderen vom Heizdeckenverkäufer auf die Bühne komplementiert wurden. Ich befürchte, er hielt sich für eine Art Jürgen Höller, siehe der Off-Kommentar hinter der Bühne, mit dem er seinen Auftritt einleitete, sozusagen aus der hohen Schule der Dramatik. Hier nun ein Best-Of seiner Äußerungen:
"Die Punkte werden sich häufigen." Gut, wir wollen nicht kleinlich sein, das kann schon mal vorkommen, dass man Verben erfindet. Vor allem, wenn man 50 Menschen, die nur wegen der Gratisernährung gekommen sind, davon überzeugen muss, dass eine Computersimulation das gleiche ist wie ein Film.
"Die Stadt ist voll mit Backsteincharakter." Riga war das Opfer dieser Zuschreibung, das war auch die Stelle, an der er seine Heimat Darmstadt ins Spiel brachte, denn auch dort gäbe es Backsteine. Mehr als das: Darmstadt sei ohnehin DAS Zentrum der Backsteinbauweise in ganz Europa. Das wiederum erfahre man aber erst in Riga. Alles klar?
Riga sei auch deswegen großartig, als dass es dort "einen Fleischmarkt, eine Gemüsehalle und andere Handelssorten" gäbe. Dinge, wegen denen man in den Urlaub fährt: Gemüse, Fleisch und was auch immer er mit anderen Handelssorten meint. Vielleicht Backsteine?
Zum dessen proklamierten Charakter gesellte sich hurtig ein anderer Begriff aus den Ratgebern zum schönen Stil: "Auch hier darf der Jugendstilbereich nicht fehlen." Blähwörter sind dieses Mannes täglich Brot, der jedoch auch schon andere Zeiten erlebt hatte, Zeiten nämlich, "wie noch der Tennissport großgeschrieben wurde.", wobei dies die Hochzeit des Hauses war, das sein Arbeitgeber dann als "kleine Perle wieder auf den Markt zurückgeführt" habe. Aha.
Um diesen Mister 20 Ampere zu erlösen (Zeit für seine Tabletten, vielleicht), trat alsbald eine Dame auf die Bühne, die die Aufgabe hatte, eine Fluglinie anzubiedern, "die mit dem Geier". Wenn jemand das eigene Firmenlogo nicht korrekt benennen kann (wonach die Firma zudem benannt ist), ist Skepsis geboten. Dies bestätigte sich spätestens dann, als die Dame beim Anpreisen der Beinfreiheit in der Luxusklasse ihrer Flieger (denn auch darum reist man: Beinfreiheit im Transportmittel) "Strecken, wo nicht so ein hochwertiges Klientel an Bord ist, Kuba z.B." erwähnte. Diese rassistischen Flieger bringen einen dann immerhin an Ziele, die schon als Drehorte für Hollywoodblockbuster dienten: "Wir denken an Troja, wir denken an das U-Boot.". Wir denken auch noch an weitere filmische Fantasieausgeburten des Heizdeckenverkäufers, der bereits wieder übernommen hatte und beflissen einen weiteren Vorteil der hier beworbenen Hotels erwähnte: "Das Spa wird von den Profis der Firma Transformer betrieben.". Ich schien die Einzige zu sein, der dazu nur das einfiel:



Ich möchte nicht von/ zu einem Motorrad massiert werden. Aber das ist wahrscheinlich ein Einzelfall. Die Anpreisungsversuche erreichten einen letzten Höhepunkt, als bei der Vorstellung von Mietwagen mit Gasantrieb in den türkischen Ressorts des Unternehmens der denkwürdige Satz fiel: "Da denkt man immer, die Türken wären nicht soweit." Genau das denkt man immer. Wenn man ein ignoranter, provinzieller und rassistischer Marktschreier der Tourismusbranche ist, dem die Verzweiflung und die Angst, nichts zu verkaufen aus den Poren dringt und der hofft, man mache sich mit solchen Äußerungen gemein mit seinem Publikum. Dieses habe mit dem Aufenthalt in einem seiner Hotels immerhin die Aussicht zusammen mit ihm "unsere eigenen kleinen Araber" bestaunen zu können. Denn sie sind wie Tiere. Oder so ähnlich.
Ich ziehe mich nun zurück um verbittert meine kryptischen und umfangreichen Exzerpte der prüfungsvorbereitenden Texte zu studieren. Wozu das gut sein soll, wird sich demnächst zeigen. Ich hoffe, das es fürs Bestehen reicht. Damit auch ich meine Integrität für bezahlten Urlaub und Zahnersatz an ein multinationales Unternehmen verkaufen kann. Was mir in Zeiten der Wirtschaftskrise nichtmal gelingen wird. Man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll zu verbittern. Was der Verbitterung nur weitere Munition liefert. Ein perpetuum mobile der Agonie! Passend hierzu eines meiner Kindheitsidole: "Ich ess noch das Brötchen auf, dann spring ich aus dem Fenster."