Sonntag, 19. Juni 2011

Mixed Messages

Was ich relativ schnell gelernt habe in meiner Zeit hier ist der Fakt, dass ein Umzug in die Schweiz nicht ein Umzug in ein neues Land bedeutet sondern in ungefähr 448, mindestens so viele wie Kantone, ich vermute aber im Grunde genommen so viele wie Berggipfel und zugehörige Täler. Schnell habe ich gemerkt, dass, was für Berner völlig nachvollziehbar und verständlich ist, einem Zürcher vorkommt wie das Ritual Wilder. Und umgekehrt.
So sagt mir Arbeitskollege P. in Zürich: "Was du auf keinen Fall machen darfst, ist zu sagen "Ich kriege ein Bier." wenn du ein Bier bestellen möchtest. Das ist in der Schweiz extrem unhöflich. Das ist ein Befehlston.". Weil dieser lexikalischen Sensibilität zu widersprechen die Energie benötigt, die ich brauche, sie mir zu merken um Ausschaffung oder Bierausgabenverweigerung (mithin gleichermassen schlimme Konsequenzen für eine Deutsche) zu entgehen, speichere ich die Information in meinem inneren Ordner "Odd, unvermeidbar, deal with it." ab. Kurz darauf bin ich in Bern, wo ich etwas finde, was in meinem Glaubenssystem das ist, was Katholiken der Jesus auf dem Toastbrot oder eine Marienerscheinung auf der Autobahntoilette auf Lourdeswallfahrt ist: Im Gewerbegebiet, in dem der Bürostandort liegt, entdecke ich einen benachbarten Eiscreme-Werksverkauf. Dank der Findigkeit eines weiteren, eben Berner Arbeitskollegen, bade ich alsbald die entzückten Augen in Krankenhausmengen Qualitätseiscreme zu für Schweizer Verhältnissen Dumpingpreisen (das heisst: Für Deutschland "normal").
Meine Ausbeute (bis zum geplanten Erwerb eines Family Frost-Wagens gebe ich mich bescheiden und räume erstmal im Milliliter-Bereich ab) an der Kasse zahlend, hören meine erstaunten Ohren den Satz "Und ich krieg noch eine Tüte dazu, bitte.". Zumindest vermute ich dies, der Mensch spricht schließlich Dialekt. Aber ich bin mir relativ sicher. Als ich zurück in Zürich mein Erstaunen über diesen doch so offensichtlichen Sprachgebrauchsclash der Kantone kundtue, wird mit großer Skepsis auf mein vermutet marginales Verständnis der Dialekte hingewiesen. Auf gut Deutsch: Da hätte ich was falsch verstanden. Akustisch.
Und selbst, wenn ich richtig verstanden hätte: Mein 1000m Lauf durch alle Fettnäpfchen zwischen Locarno und Basel soll längst nicht beendet sein, zumindest macht mir dies eben jener Berner Kollege deutlich, als wir den Eisladen verlassen.
Ich hatte mich, wie seit Wochen und, wenn ich ganz ehrlich bin, mein ganzes Leben lang, von der Verkäuferin mit einem typisch berlinerischen "Tschüssie!" (wichtig ist, dass "T" eher stumm zu halten und die Betonung aufs "i" zu legen, das entspricht urbaner Dynamik, die es braucht, um die Bierflaschen aus dem Späti in den Park zu kriegen bevor die Asis aus Tarifzone C wieder alle guten Plätze besetzt haben) verabschiedet. Vertraulich, so wie man jemanden im Nachhinein sagt, dass er seit Beginn der Firmenpräsentation den Hosenstall offen hatte, raunt mit der Kollege zu: "Also, Tschüss...das sagt man hier nur, wenn man sich duzt. Das kannst du der älteren Dame gerade ja nicht unterstellen.". Erneut öffne ich den oben beschrieben Oddness-Ordner und begrüße innerlich meine mit diesem Hinweis erworbenen 1000 neuen Schweizer Duzfreunde aus Kreisämtern, Supermärkten und Arztpraxen.
Als ich bei nächster Gelegenheit in Zürich nach dem Mittagessen im Arbeitskollegenkreis mir ein eckiges "Uff Wiederluege" abquetsche, dass sich aus meinem Mund eher anhört wie ein Hilfsgesuch an die Ghanaische Botschaft, eine Plastikfabrik mit meinem Namen zu eröffnen, schauen mich meine Züricher Kollegen erstaunt an. Ich erkläre ihnen das "Tschüssie"-Problem. Bemüht, mein integratives Potenzial zu zeigen. Und stoße auf Kopfschütteln: "Also, Tschüssie, das ist doch kein Problem. Das kannst du hier sagen, ganz normal, wie Auf Wiedersehen. Und überhaupt: Du solltest beim Hochdeutsch bleiben."
Ich kapituliere. Und konstatiere: Die erfolgreiche Domestikation durch die Schweiz erfordert zügigen und konsequenten Entscheid für einen Kanton. Oder einen Berg. Wenn das so weitergeht, wähle ich dafür den Berg mit dem Zoo hier am Platz. Und spreche nur noch Affensprache. Da kann sicher weniger schief gehen als bisher.

3 Kommentare:

Annina hat gesagt…

Ich als Schweizerin darf sagen: Lass Dich nicht ärgern, die sollen sich alle mal einkriegen und froh sein, dass sie eine so aufgeschlossene Kollegin haben! Merci viilmaal! :))

monkeypenny hat gesagt…

Hey Annina,
Es macht mir ja Freude, die kleinen Verwirrungen. Begrüssenswerte Abwechslung für meine Deutschen Gewohnheiten :) Danke dir für das Lob. Ganz viele Grüsse, Juliane

Sebastian hat gesagt…

Warte auf die Nachricht: "Ich schaffe mich freiwillig aus und nehme folgende drei Dinge mit: Eiscreme, einen Duzfreund und einen Zahnputzbecher."