Freitag, 3. April 2009

Creolisches Rehgulasch

Eines der Dinge, die ich kaum bis gar nicht beherrsche, ist die Fokussierung. Wäre dies eine studi-vz-Gruppen-Bezeichnung, würde nach dem ersten Satz "Oh, ein Vögelchen." stehen. Die mir angeborene Klasse verbietet es mir, solch derben, durchsichtigen Scherz zu treiben. Wobei ich bei der Frage wäre, welches Verb tatsächlich hinter Scherz gehört hätte und mich auf ein weiteres Bein (so heißt das, fragt Peter Maffay oder Celine Dion oder wie sonstwen auf Welttournee) meiner großen Selbstablenkungstournee ins Internet begebe.
Jedenfalls gäbe es gerade deutlich wichtigere Dinge tu tun als zu bloggen. Zu lesen, zu lernen, eine Klausur von 4 Stunden vorzubereiten, die ich spaßeshalber gerade mal so vorgeschrieben habe, wobei ich auf das überwältigende Ergebnis von 2 A4Seiten kam. Immerhin vorne und hinten beschrieben. Das sollte reichen, um ein Achtel meiner Magisterprüfung zu erledigen, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass zwecks Erlangen des Bachelortitels meines Studienfachs eine Arbeit von 25 Seiten nötig sind, das entspricht dem Umfang einer Hausarbeit im Hauptstudium eines Magisterstudenten. Eine. verdammte. Hausarbeit. Für einen. verdammten. akademischen. Titel. Von Unfairness zu sprechen, wäre natürlich kindisch und unangebracht, denn wir lernen ja fürs Leben und um Gerechtigkeit gehts sowieso nicht, eher um Gleichmut und Karma und flexible Rückenmuskeln als Rüstzeug für eine Laufbahn im mittleren Management, von der wir uns optimalerweise irgendwann selbst einreden, das sie die Erfüllung unserer Träume ist. Die faulen Kompromisse, die Strategien der Selbsttäuschung, es ist wohl angenehmer und psychologisch gesünder, sich ihrer nicht bewusst zu sein, sprich, doof, aber glücklich zu bleiben. Immerhin entspringt solcher Ignoranz stets das Potential zu Zitaten mit hohem Unterhaltungswert, wie ich erst kürzlich beim Besuch einer Art Werbeveranstaltung einer deutschen 4-Sterne-Hotelgruppe erleben durfte. Der Spaß, zu dem mich die Aussicht auf Gratiscatering verlockt hatte (ja, ich bin Opportunistin und insofern Teil des Problems, das ich beschreibe aber immerhin habe ich kein dickes Sommerhaus mit Privatbootssteg während ich gleichzeitig die Gleichheit aller Menschen beschwöre. Ja, ich spreche von dir Brecht. Ja, ich weiß, du bist tot und ja, ich weiß, die Tennisschuhe hat Heli ausgesucht, das stand auf den Merktafeln im Sommerhaus. Schön dort.) gestaltete sich so, wie ich mit Heizdeckenverkaufsveranstaltungen vorstelle, wobei die Heizdecken das jeweilige Hotel der Kette in gefühlt 64 Ländern der Erde (jedes Hotel wurde mit einer Art Werbefilm vorgestellt, auch und vor allem schön beim Hotel in Bejing, das bisher nur aus einer Computersimulation bestand) waren und das Publikum immerhin nicht eingesperrt in einem zwielichtigen Landgasthof kurz hinter der polnischen Grenze sondern nur mit Essensvorenthaltung zu Gunsten der Ausführungen eines mit der deutschen Sprache und der eigenen Schamlosigkeit kämpfenden ...Conferencier (?) aus Darmstadt gequält wurde.
Ich ahnte, in welche Richtung der Abend tendierte, als sich der Direktor der Teneriffa-Dependance der Kette in balearer (balearischer?) Inseltracht auf die Bühne stellte, wobei sein Auftritt unbestritten der schillerndste unter den versammelten Direktoren der Kette war, die, alle 6325 unter immer spärlicher werdenden Applaus, einer nach dem anderen vom Heizdeckenverkäufer auf die Bühne komplementiert wurden. Ich befürchte, er hielt sich für eine Art Jürgen Höller, siehe der Off-Kommentar hinter der Bühne, mit dem er seinen Auftritt einleitete, sozusagen aus der hohen Schule der Dramatik. Hier nun ein Best-Of seiner Äußerungen:
"Die Punkte werden sich häufigen." Gut, wir wollen nicht kleinlich sein, das kann schon mal vorkommen, dass man Verben erfindet. Vor allem, wenn man 50 Menschen, die nur wegen der Gratisernährung gekommen sind, davon überzeugen muss, dass eine Computersimulation das gleiche ist wie ein Film.
"Die Stadt ist voll mit Backsteincharakter." Riga war das Opfer dieser Zuschreibung, das war auch die Stelle, an der er seine Heimat Darmstadt ins Spiel brachte, denn auch dort gäbe es Backsteine. Mehr als das: Darmstadt sei ohnehin DAS Zentrum der Backsteinbauweise in ganz Europa. Das wiederum erfahre man aber erst in Riga. Alles klar?
Riga sei auch deswegen großartig, als dass es dort "einen Fleischmarkt, eine Gemüsehalle und andere Handelssorten" gäbe. Dinge, wegen denen man in den Urlaub fährt: Gemüse, Fleisch und was auch immer er mit anderen Handelssorten meint. Vielleicht Backsteine?
Zum dessen proklamierten Charakter gesellte sich hurtig ein anderer Begriff aus den Ratgebern zum schönen Stil: "Auch hier darf der Jugendstilbereich nicht fehlen." Blähwörter sind dieses Mannes täglich Brot, der jedoch auch schon andere Zeiten erlebt hatte, Zeiten nämlich, "wie noch der Tennissport großgeschrieben wurde.", wobei dies die Hochzeit des Hauses war, das sein Arbeitgeber dann als "kleine Perle wieder auf den Markt zurückgeführt" habe. Aha.
Um diesen Mister 20 Ampere zu erlösen (Zeit für seine Tabletten, vielleicht), trat alsbald eine Dame auf die Bühne, die die Aufgabe hatte, eine Fluglinie anzubiedern, "die mit dem Geier". Wenn jemand das eigene Firmenlogo nicht korrekt benennen kann (wonach die Firma zudem benannt ist), ist Skepsis geboten. Dies bestätigte sich spätestens dann, als die Dame beim Anpreisen der Beinfreiheit in der Luxusklasse ihrer Flieger (denn auch darum reist man: Beinfreiheit im Transportmittel) "Strecken, wo nicht so ein hochwertiges Klientel an Bord ist, Kuba z.B." erwähnte. Diese rassistischen Flieger bringen einen dann immerhin an Ziele, die schon als Drehorte für Hollywoodblockbuster dienten: "Wir denken an Troja, wir denken an das U-Boot.". Wir denken auch noch an weitere filmische Fantasieausgeburten des Heizdeckenverkäufers, der bereits wieder übernommen hatte und beflissen einen weiteren Vorteil der hier beworbenen Hotels erwähnte: "Das Spa wird von den Profis der Firma Transformer betrieben.". Ich schien die Einzige zu sein, der dazu nur das einfiel:



Ich möchte nicht von/ zu einem Motorrad massiert werden. Aber das ist wahrscheinlich ein Einzelfall. Die Anpreisungsversuche erreichten einen letzten Höhepunkt, als bei der Vorstellung von Mietwagen mit Gasantrieb in den türkischen Ressorts des Unternehmens der denkwürdige Satz fiel: "Da denkt man immer, die Türken wären nicht soweit." Genau das denkt man immer. Wenn man ein ignoranter, provinzieller und rassistischer Marktschreier der Tourismusbranche ist, dem die Verzweiflung und die Angst, nichts zu verkaufen aus den Poren dringt und der hofft, man mache sich mit solchen Äußerungen gemein mit seinem Publikum. Dieses habe mit dem Aufenthalt in einem seiner Hotels immerhin die Aussicht zusammen mit ihm "unsere eigenen kleinen Araber" bestaunen zu können. Denn sie sind wie Tiere. Oder so ähnlich.
Ich ziehe mich nun zurück um verbittert meine kryptischen und umfangreichen Exzerpte der prüfungsvorbereitenden Texte zu studieren. Wozu das gut sein soll, wird sich demnächst zeigen. Ich hoffe, das es fürs Bestehen reicht. Damit auch ich meine Integrität für bezahlten Urlaub und Zahnersatz an ein multinationales Unternehmen verkaufen kann. Was mir in Zeiten der Wirtschaftskrise nichtmal gelingen wird. Man weiß gar nicht mehr, wo man anfangen soll zu verbittern. Was der Verbitterung nur weitere Munition liefert. Ein perpetuum mobile der Agonie! Passend hierzu eines meiner Kindheitsidole: "Ich ess noch das Brötchen auf, dann spring ich aus dem Fenster."


3 Kommentare:

die andere hat gesagt…

Darmstadt - ein Hort an Backsteinen und Drombuschesker Kulisse. Bis sie auf einen Rummelplatz verlegt wurde, auf dem Ludwig als Puppenspieler sein Glück suchte. Ein Grund, ein Hotel dort zu errichten, maybe?

la bonette hat gesagt…

OMG, Onkel Ludwig! Ich erinnere mich dunkel. Sabine Kaack (die mir natürlich einzig aufgrund des Namens im Gedächtnis blieb) sowie Witta Pohl seh ich auch vor mir, wenn auch ohne Rollennamen. Das war selbst für meine Maßstäbe schlimm. Immer dieses Drama!

die andere hat gesagt…

Besonders, nachdem der Sohn nach diesem schlimmen Unfall am Fußballstadion verstorben war. Aber standen da nicht überall Fachwerk- statt Backsteinbauten? Man fragt sich...