Sonntag, 21. November 2010

I went to the VDZ Zeitschriftentage and all you´ll get is this lousy blog post.

Es erinnert mich an den Moment beim Jahrestreffen des Netzwerk Recherche im vergangenen Juni, als Georg Mascolo trotz 2 geöffneter Knöpfe am makellos weißen Hemd die Halsschlagader gegen die ägyptische Baumwolle schwillt als Markus Beckedahl die Todsünde begeht, auf dem unvermeidlichen Panel zur Zukunft des Journalismus zuzugeben, nicht nur kein Print-Abo zu besitzen sondern auch noch Ad-Blocker einzusetzen um sich beim Medienkonsum online den Elend des Anblicks dessen, was Großkonzerne z.B. unter "authentischen Botschaften" (siehe neue Kampagne einer großen Münchner Versicherung- echte Menschen mit echten gebrochenen Beinen sagen "Danke" dafür, dass eine Versicherung ihren Job macht, womit sie das Äquivalent zu Flugzeuglandeklatschern darstellen) im Dienste der Konsumförderung verstehen, zu vermeiden: Empörung über den Angriff auf sein altes Geschäftsmodell prägt den ersten Auftritt Hubert Burdas bei den diesjährigen Zeitschriftentagen des VDZ, Wut gegenüber google, die in dem Satz gipfelt: "Ich lasse mich von einer Suchmaschine nicht in die Ecke drängen.", ausgesprochen während er den Ausdruck einer Grafik, die scheinbar alle Konkurrenzszenarien googles gegenüber Verlagen verkörpert, in der Hand hält: So genau kann man das nicht sagen, weil Hubert sich nun mal in Bekenntnis zum Holz gegen digitale Illustration seiner Thesen entschieden hat und stattdessen die ohnehin überfordert wirkende Hoteltechnik vom Maritim in der Stauffenbergstraße zwingt, per Kamera auf das Blatt in seiner Hand zu zoomen, was für Top-Übertragungsqualität auf der Leinwand sorgt: Man sieht einen Siegelring, der ein Papierchen mit sowas wie Bauklötzen drauf hält.

Der trotzige Widerspruch erinnert mich an Loriots "Ich lasse mir von einem Fernseher nicht vorschreiben, wie ich meinen Abend zu verbringen habe."- Sketch: Die Behauptung des Gegenteils der Realität um diese Verschwinden zu machen. Realität ist: Das Netz hat gewonnen. Google wird nicht weggehen oder Aufhören, in Aggregation und smarten Dienstleistungen das zu bieten, was Nutzer brauchen um sich im Netz zu bewegen, das als technische Umgebung eine gänzlich neue Weltordnung darstellt für Verlage als Angebotsakteure und ihr Geschäftsmodell, Aufmerksamkeit zu erringen und in Werbeerlöse oder Direktverkäufe zu wandeln: Eine Umgebung, in der sie als ein Anbieter und Medienkonsum als eine Anwendungsform neben interpersonaler Kommunikation, p2p-Netzwerken, e-Commerce, gaming und dem Hochladen von Katzenfotos mit orthographisch fragwürdigen, aber witzigen Bildunterschriften stehen. Was die Print-Menschen (oder zumindest diejenigen, die ich in den 2 Veranstaltungstagen öffentlich sprechen höre) scheinbar nicht realisiert haben, ist die Tiefe der Revolution, in der sie sich befinden, dokumentiert in Daten der Mediennutzung wie sie diejenigen Studien erfassen, die nicht von der Printbranche selbst beauftragt worden. So lag laut ARD-Langzeitstudie Massenkommunikation 2010 die Tagesreichweite des Internets bei den 14-29jährigen 2009 bei 73,5 %, die der Tageszeitung bei 26,1% und die der Zeitschriften bei 6,8%. Das entspricht einer Steigerung um 50% für das Internet, einem Verlust von 10% bzw. 5% für Tageszeitungen bzw. Zeitschriften.

Noch deutlicher zeichnet sich das Bild des Mediennutzungswandels bei Betrachtung der Zahlen zur täglichen Mediennutzungsdauer ab, die, I´m afraid Hubert, den "Print is back"- Satz noch mehr ins Reich der Märchen bannen: So nahm die tägliche Nutzungsdauer von Zeitschriften (und seien wir großzügig, beziehen wir uns nicht nur auf Menschen bis 29 sondern nehmen wir alle Deutschen ab 14 Jahre als Datenbasis, also auch die Haptiker einer Generation Hubert, für die ein Leben ohne Druckerschwärze zum Frühstücksei dem Gang in die Apokalypse gleich kommt) von 2000 bis 2010 von 10 Minuten auf 6 Minuten ab, die des Internet hingegen von 13 Minuten auf 83 Minuten zu. Ich bin keine Volkswirtin, meine Haare sind nicht so glänzend und meine Slogans nicht so schmissig wie die der Menschen von Booz &Company, die dem VDZ, wahrscheinlich gegen sehr viel Geld eigene Studiendaten vorstellen durften, trotzdem glaube ich diese (dank des Geburtsfehlers des Netzes frei verfügbaren und trotzdem knorke-wissenschaftlich-validen Daten) prozentual korrekt übersetzen zu können mit: In dem Zeitraum, in dem das Internet seine tägliche Nutzungszeit um mehr als 500% steigerte, verlor die Zeitschrift 40%.

Das ist für einen Verband wie den VDZ mindestens deswegen wichtig, weil es heißt, er muss sich, will er zukunftsfähig im Sinne der Akquise und Bindung junger Nutzer sein, im Netz nicht nur aufstellen, er muss dort auch Wege finden, sein Kerngeschäft gegenzufinanzieren. Umso erstaunlicher der Ekel eines Michael Ringier während seiner key note über die Strategie der Online-Beteiligungen der Verlage am, sagen wir mal, "e-Commerce". Ringier mokiert sich über Hundefutter-Shops, unterschlägt dabei aber die Tatsache, dass beispielsweise die VZ-Netzwerke, nach IVW alleine 2010 stets in den Top2 der Online-Werbeträger, sehr wohl eine unter Aspekten veränderter Aufmerksamkeitsverteilung in neuer Medienwelt sinnvolle Ergänzung des Portfolios eines traditionellen Verlags wie Holtzbrinck darstellen. Und a propos social networks: Erstaunlich auch, dass auf einer Tagung deutscher Verleger niemand das Zuckerbergsche Imperium der sozialen Vernetzung erwähnt, allein deswegen wichtig, weil es 2010 mit bescheidenen 540 Millionen unique Users im google Ad Ranking die meistfrequentierte website weltweit ist. Das sind 540 Millionen unique users, die ihre Werbebotschaft nicht mehr bei Hubert abholen. Oder bei Bernd Buchholz, wobei mir dieser, auf Konkurrenz durch Facebook angesprochen, erklärt, es sei ja so, dass dieses Portal einzig der Imagepflege, der Prüfung von Profilen potentieller Partner und dem Austausch von Nachrichten zu diesem Zwecke dienen. Das mag ja stimmen: Allein, wenn junge Menschen eben nur noch jenes tun wollen im Netz, dann sollte jeder kluge Verleger sich dorthin begeben, wo dies stattfindet anstatt darauf zu bauen, mit Rohrkrepierern wie der bym-WG eigene Versuche des Abfangens veränderter Mediennutzung zu betreiben. Soziale Filter, Agieren auf Augenhöhe und eine auf Agilität und Präsenz dort, wo Nutzer sind, ausgerichtete Strategie: Nichts anderes meinte ich, als ich, nach 2 Tagen Kopfschütteln und Dampfkochtopftweets dem trotzigen "Die Bravo hat aber über 400.000 Abo"- tweet des Anzeigenleiters eines deutschen Wirtschaftsmagazins kraftlos ein "Facebook rult" entgegen setze.

Ob mich die Zeitschriftentage jemals wieder sehen, weiß ich nicht (sehe schon Ausdrucke mit "wanted" in Huberts Händen bei zukünftigen Panels, ist vielleicht nur geltungsbedürftiger Wunschtraum). Meine Auseinandersetzung mit Printmedien ist eine akademische. In 4 Wochen gebe ich meine Examensarbeit über Qualitätsjournalismus in Zeiten der Cholera, ich meine, des Internets, ab. Spaß hat es gemacht, als Elefant durch den Porzellanladen der Holzmenschen zu laufen, ihre Eistorte unter einem glitzernden Lüster zu verspeisen und sich erzählen zu lassen, alles bleibe, wie es ist. Spätestens beim Gang vor die Hoteltür und den Blick auf das Berlin davor wird klar, dass, dies zu glauben weniger verwerflich als allzumenschlich ist: Wer hätte in den 20ern vermutet, dass einst eine japanische Technikfirma eine Fujijama-Nachbildung auf den Potsdamer Platz baut? Und wer hätte 1985 Udo Lindenberg die Produktion eines Musicals prophezeit? Oder es sich gewünscht, for that matter? Talking ´bout a revolution sounds like a whisper. In diesem Sinne: Flüstern, poken, liken, twittern wir weiter. Holzkreuze säumen unseren Weg.

8 Kommentare:

kunstreich hat gesagt…

Die Zahlen werden noch eindrucksvoller (oder beängstigender, je nachdem welchen Standpunkt man einnimmt), wenn man passive und aktive Nutzungsmodi unterscheidet.

Sieht man sich die (N)Onliner Zahlen an, dann dominieren im Netz (trotz Konvergenz mit TV/Radio, also Passivität) eindeutig die Aktiven, was die tatsächliche Bedeutung des Mediums nochmals steigern dürfte.

Überträgt man das also auf die so schon krassen Zahlen der jüngsten Kohorten, kann man nur zum Schluss kommen:

Fuck you Riepl, and fuck your law!

monkeypenny hat gesagt…

Ich weiß nicht, ob ich den letzten Satz unterschreiben würde. Ich glaube schon, dass es Zeitschriften weiter geben wird. Aber bei der Tatsache des Riesengeschäfts darum durch Riesenverlage wär ich mir eben nicht so sicher. Und bei den Auflagen. Vielleicht wirds zum super special interest Nischen-Fetisch-Objekt, whatever.

tcloer hat gesagt…

Ein spannender und lesenswerter Text.

Aber so leider nicht lesbar! Herrje, auch im Internet kann und muss man Absätze verwenden, um einen Text zu gliedern.

monkeypenny hat gesagt…

danke für de hinweis, wird geändert.

Michael hat gesagt…

Sehr bissig, aber leider nur allzu wahr. Chapeau!

Erinnert mich an das alte Heine-Bonmot: "Weil nicht sein kann, was nicht sein darf." ...

Vielen Dank!

Anonym hat gesagt…

Das stammt nicht von Heine, sondern von Ringelnatz. Mit einem Konsum von nur 10 Minuten Zeitschrift pro Tag (durchschnittlicher Tagesbildungsbedarf eines Bürgers), wäre das nicht passiert, wie unabhängige wissenschaftliche Studien beweisen ;-)

monkeypenny hat gesagt…

Ich dachte, Ringelnatz wäre nie so bissig gewesen. Bin völlig desillusioniert was durch Holz, mithin seine professionellen Vollschreiber, erhaltbare Bildung angeht, seitdem ich gestern den Wissenstest der Nannenschule näher betrachtete:
http://twitpic.com/3907yg

Anonym hat gesagt…

Ah! ich endlich das gefunden was ich gesucht habe. Manchmal dauert es so viel Mühe, um auch kleine nützliche Information zu finden.