Dienstag, 28. Juni 2011

Durchbrüche

In Zürich Besuch aus Berlin zu treffen, ist ein wenig so, als schaute man mit seinen Eltern einen Film, in dem geknutscht wird: Ein bißchen unkomfortabel, ein bißchen aufjaulenswert, wie sich Welten ineinander verschieben, die nichts miteinander zu tun haben sollten. Ob Libido vs. im Grundsatz stets als asexuell anzunehmende Blutsverwandtschaft oder die stadtgewordene AUDI-Werbung mit Lohnarbeitsprofitsprimat namens Zürich vs. das Übergriffigkeitsdorf mit Metropolansprüchen und einer Einstellung, die beim Weg nicht nach dem Ziel fragt, sondern ob und wie es unterwegs vielleicht erstmal ein Stützbier hat namens Berlin: Das sind Systemwidersprüche, die nicht auflösbar sind ohne die Hirnrinde gepökelt zu kriegen.

So berichtet meine Berliner Freundin T., sie habe bei Rumfahren mit ihren Schweizer Gastgebern immer wieder gefragt, was es mit den Lampen, die quer über die Straße hängen, auf sich habe. Ob das Zürcher Spezialität sei. Ob das nicht gefährlich sei bei Wind und Wetter. Seit wann es das gäbe. Sie fragt viele Fragen.
Ihre Gastgeber antworten: "Weihnachten hängen wir noch andere Lampen auf.".

Sie nickt interessiert und bemerkt dann, dass das aber ihre Frage nicht beantwortet. Daraufhin Schweigen und eine Stimmung im Auto als hätte sie gerade ausgiebig Körpergase freigesetzt. Das Gleiche wenig später, als man Rast macht.

Man geht zu viert in ein Lokal, bestellt. T. ist nicht hungrig und nicht durstig, möchte aber nachvollziehbarerweise nur ungern 30 Minuten alleine auf der stillen Rückbank im Auto verweilen. Sie setzt sich also zu den anderen, als der Kellner kommt, gibt sie aber keine Bestellung auf sondern sagt: "Für mich nichts. Danke.". Kurz nachdem der Kellner außer Hörweite ist, kriegt sie gesagt: "So etwas macht man hier nicht. Wir bestellen, auch wenn wir keinen Hunger haben.". T. s Verwirrung wächst.

Nun sitzen wir abends bei einem ihr von mir aufgeschwatzten Süßmost (ich zwinge meinen Besuch dazu, die lokalen Spezialitäten zu testen um eventuelle Toxik zu eruieren, sie sind quasi meine Vorkoster, das einzige, was mich mit Royalität verbindet. Dass und die sich aus diesem Umstand ergebende Risikohaftigkeit des vorzeitigen Verlusts der 2,3 Leute, die freiwillig mit dir Süßmost trinken gehen, dem Selbsterhaltungstrieb geopfert, siehe Prince Charles wahrscheinlich existierender Privatfriedhof ehemaliger Polobuddies) und sie fragt mich, was es mit diesen Dingen auf sich habe.

"Ist das eine nationale Unentspanntheit oder war das eine Privatneurose heute?".

Ich überlege und kann keine Antwort geben. Genau dies ist die Herausforderung am Leben als Expat: Du weißt nie, ob du gerade im Glauben einen Kirschbananesaft zu bestellen, sagen wir mal, Wilhelm Tell der Unzucht mit Ziegen bezichtigt hast und ob, wenn dem so ist, genau dies hier am Ort eine Beleidigung ist oder eine Lobpreisung. Und wie es im nächsten Kreis, geschweige denn Kanton aussieht, das steht auf einem ganz anderen Blatt.

T. seufzt. Wir sprechen darüber, was sonst noch war auf ihrem Ausflug. Sie freut sich über den Ortsnamen "Küsnacht" und nennt ihn "Küss-Nacht". Sie lobt das saubere Wasser und die Absenz von Lebensmittelskandalen. T. ist Veganerin, wird ihr Kind wahrscheinlich auch so erziehen, geht gegen Atomkraftwerke auf die Straße, hat mit Schulmedizin nicht viel am Hut. Bevor T. weiter Sternchen kriegt, wenn sie über Küss-Nacht fabuliert, zeige ich ihr eine interessante Zeitungsanzeige.


Wir trinken aus. Ich bringe sie zum Tram, die wir beide "die Tram" nennen. T. sagt: "Wie du das machst, dass du hier alles verstehst - Krass.". Was sie nicht verstanden hat, ist ja, dass mein geheimer Plan nicht ist, alles zu verstehen, sondern alle anderen dazu zu bringen, mich zu verstehen. Ein Unterfangen von der Erfolgsaussicht eines Mondflugs in einem Bobbycar.
Immerhin: Diese Woche im Büro das erste Mal einen Satz gehört, der genauso auch in Berlin hätte fallen können: "Du bist so blöd manchmal.". Ich habe mich sehr darüber gefreut, bedeutet es doch: Meine Superkraft des Aufdienervenfallens scheint Landes- und Mentalitätsgrenzen zu sprengen! Ich als gemeinsamer Nervbolzen als Bindeglied zwischen EU und dem notorischen Einzelentscheider Schweiz: Jetzt muss ich nur noch einen Weg finden, das zu monetarisieren.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Glückwunsch zum Erfolgserlebnis!

monkeypenny hat gesagt…

Danke sehr! Auf dass es noch viele werden.