Sonntag, 28. Januar 2007

Kunst und Krempel

Die einzige Profession mit höherer Dichte an Profilneurotikern als der Journalismus ist aus meiner spärlichen Erfahrung heraus die des Künstlers. Eine erneute Bestätigung dieses immer-schon-gefühlten Wissens fand ich heute abend bei der Semesterabschlussveranstaltung einer Musik- Hochschule der Haupstadt.
Schon die Vorstellung der Lehrkraft, die den Abend organisiert hatte, am Anfang der Veranstaltung, ließ in puncto Exaltiertheit und künstlicher Noblesse keine Wünsche offen. Es ist eine Sache, wenn man glaubt, nur weil man Amerikanerin ist, Jazzgesang quasi erfunden zu haben. Eine andere Sache ist das Reimen eines Begrüßungssongs in Deutscher Sprache. Eine frühzeitig vor Neid und Missgunst gealterte Divette, die sich offensichtlich am Leben und Wirken von Norma Desmond in seiner letzten Phase („Mr. De Mille, I´m ready for my Close- Up!“) orientiert, gibt Plattitüden wie „Sie alle zusammen sind ein kunterbunter Blumenstrauß!“ zum Besten. Der Text alleine ist grausam genug, man fragt sich, warum sie ihn auch noch singen muss, noch dazu an einem Abend, der eigentlich das Können der Studenten dokumentieren soll. Eitelkeit und der Komplex, beweisen zu müssen, dass man auch was kann, sind die Gründe für ihren Schwandengesang, die ihr auf die Stirn geschrieben sind. Den Rest muß man sich vorstellen, kann man aber nicht.
Ich merke gerade, wie ich das verallgemeinernde „man“ benutze, um mich von meinen eigenen Eindrücken zu distanzieren und ihnen den Anschein von Objektivität zu geben. Ich bitte darum , dies meiner eigenen Schreibschwäche und zeitweiligen Unlustigkeit zuzuschreiben und es einstweilen zu akzeptieren.
Ihr könntet natürlich auch eine richtige Kritik des Abends lesen, irgendwo. Werdet ihr aber nicht finden, ich war der einzige Vertreter der Presse (zumindest machte ich dies das Publikum glauben mit meinem hektischen Gekrame nach Stift und Zettel damit ich ordentlich darüber bloggen kann).
Aber stracks zurück zum Vanity Fair.
Um euch einen Eindruck des Abends zu geben, hier eine Kurzkritik zu allen Interpreten/-innen in willkürlicher Reihenfolge. Die Nummerierung hat nichts mit einem Ranking zu tun, dies zu bewerkstelligen, überlasse ich einem göttlichen Richter wenn die Stunde dieser Früchtchen schlägt.
1. Eine Sängerin, die kein englisches „th“ aussprechen konnte und es lieber durch ein „s“ ersetzte. „Doof, aber süß.“ höre ich euch sagen und das war auch das von ihr offensichtlich angestrebte Image. Es ist aber nur doof und überhaupt nicht süß, wenn das eigene Studium „Jazzgesang“ heißt und maßgeblich das Singen größtenteils englischsprachiger Standards beinhaltet.
2. Eine weitere Sängerin, diesmal mit der Bühnenpräsenz Maite Kellys, nur ohne deren minimales Talent. Um dies zu vertuschen, mühte sie sich mit Papier und Kugelschreiber als Magic Sound Machine mit traurigen Berichten über imaginäre Exfreunde ab. Das war genau so seltsam wie es sich hier liest. Bekleidungsmäßig war sie mit einer abgeschnittenen Motivstrumpfhose als Oberteil ganz weit vorne im Humana- Kleidungs- Ranking.
3. „Brecht für Arme“ in Gestalt eines Singspiels, bei jeder mitmachen durfte, der eine Zeitung halten konnte. Ja, Zeitungen waren ein wichtiges Requisit. Im Laufe der anklagenden Darbietung wurde von einer Art Chor daraus vorgelesen bevor es an das skandieren kryptischer Parolen (Antiamerikanismus ist offensichtlich doch noch en vogue) ging. Meine Aufmerksamkeit galt einer der Darstellerinnen, die ihren Kopf an diesem Teil, das den Flügel vom Flügel hochhält, gelehnt hatte (Gibt es da ein Wort für?). Ich hoffte nicht direkt, dass der Flügel runterfallen würde, andererseits hätte es der Gesellschaftskritik dieses Stückes gleich eine ganz neue Sprengkraft gegeben bzw. mich endlich mal unterhalten. Der Titel des Singspiels hätte meiner Meinung nach „Versmaß ...um den Mixer.“ heißen sollen. Die Geräuschkulisse am Anfang wiederum war eher dem „Exorzist“ zuzuordnen. Ich wurde innerlich zu Dieter Bohlen.
4. Die Jazzgeige hat meiner Meinung nach der Teufel erfunden. Ich meine, mal ehrlich, warum nicht gleich „Jazzakkordeon“ oder „Jazzbratsche“? Die zur Geige gehörende Musikerin sah denn auch recht unglücklich aus.
5. Eine Sängerin, deren Begleitband aus Jungs in Trainingsjacken besteht, hat in meinen Augen ein Autoritätsproblem. Nur mühsam konnte ich mir ein skandiertes „Das ist so Neunziger, Alter.“ verkneifen.
6. Der einzige Sänger des Abends, der zwar offensichtlich schwul, aber dennoch künstlerisch relativ unbegabt erschien, mühte sich an der Vertonung Kästnerscher Gebrauchslyrik ab. Mir fällt dazu nur ein, dass Kästner ja noch im hohen Alter seiner Mutter per Post die dreckige Wäsche zwecks Reinigung schickte. Genauso sah der Sänger auch aus. Dazu kam die Bühnenpräsenz eines Wäscheständers.
7. Die nächste Sängerin möchte ich „Blondie“ nennen, und dabei meine ich nicht Debbie Harry. Mit dilettantisch vorgetragener, auf dramatische Wirkung abzielender Einleitung versuchte sie, ihren Song interessant erscheinen zu lassen. Es wirkt aber nur lächerlich, wenn man das äußerst heikle Mittel der Kunstpause bemüht und es dann nicht beherrscht. „Dieser...[Pause]...Song...[Pause]...ist etwas GANZ...[Pause Pause Pause] BESONDERES für mich.“. Kann ja sein, aber warum sagt sie ihn dann so exaltiert und schlecht an? Als sie ihren „besonderen“ Song endlich singt, überträgt sich ihre Begeisterung ob ihres eigenen Werks nicht auf mich und angesichts ihrer hölzernen Improvisation auch nur spärlich auf das Restpublikum.
8. Eine Interpretin, der die Botschaft „Ich bin doch nur ein Mädchen!“ quasi auf der schalen Stirn geschrieben stand (und die jene auch in einer „an-den-Ärmeln-zupfen-wirkt-total-unbeholfen-und-süß“ Geste in ihrer Ansage untermauert), strapazierte meine Geduld mit einem Achtminütigen Selbsterfahrungstrip der dritten Art. Mit der stimmlichen Kraft eines Neugeborenenflatulenz behauptete sie, sie sei ein Ozean. Ich wünschte, sie wäre einer, dann aber der Stille. Stimmlich wäre sie wahrscheinlich gerne Emiliana Torrini, verspielt aber mit ihrer kalkulierten Niedlichkeit jedwede Chance auf Kredit, zumindest, was mich angeht. Die männlichen Zuschauer und –hörer scheinen sie zu mögen, aber dieses Phänomen hat auch Sandra Maischberger groß gemacht.
Um das baldige Ende des Posts einzuleiten, wechlse ich nun in den Präsens. Beschwerden darüber sind berechtigt, aber auch sinnlos.
9. Gekrönt werden sie Skurrilitäten dann von einem Ehepaar samt Musikern, die allesamt aus Mitte zu kommen scheinen. Entsprechend abgeschmackt haben sie sich „total ironisch“ mit Flügelchen, Sonnebrillen und Haarreifen verkleidet um eine Art Couplet über ihre Erfahrungen mit Kindererziehung zum Besten zu geben. Ich möchte dies nur insofern kommentieren, als dass ich denke, der Gebärstreik hat auch seine guten Seiten. Wäre eher Realität, sie hätten uns vielleicht mit ihrer Darbietung verschont.

Die offensichtliche Frage nach dem „Warum?“ meines Aufenthalts bei dieser Veranstaltung möchte ich mit dem Hinweis auf den einzigen positiven Teil dieses Ereignisses beantworten: Der Auftritt einer wahren Königin der Chuck Norris Facts und des Jazzgesangs, der objektiv gesehen das absolut Beste an einem Abend war, der ansonsten mit weitgehender Abwesenheit von Talent glänzte.
„Meine Freundin und ihre Band: 1 , Fatzken: 0.“
So soll es geschrieben sein in den Geschichtsbüchern. Und: Nein, ich bin nicht voreingenommen.

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jedes Mal wenn irgendwo der Name Maischberger fällt, ist das für mich wie ein Schlag ins Gesicht...

Anonym hat gesagt…

nur ein kommentar zu deinem letzten satz:
doch, bist du!

Anonym hat gesagt…

Der Kobold hatte wieder zu viel Sonne. Ich möchte hier ja nicht auf deine Hasstiraden ggü. völlig unschuldigen Nachbarn eingehen. Aber ich tus doch.

Anonym hat gesagt…

Um den Kommentar des Kobolds zu kommentieren: Nein, ist sie nicht!
Ich war dabei, ich habs gesehen.
Allerdings finde ich es etwas unangemessen, die übereitle Gesangschnepfe mit Norma Desmond zu vergleichen. Okay, beide wollen nicht akzeptieren, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Aber eine Norma Desmond umgibt immer noch der Glanz ihrer früheren Starkarriere, während besagte Pseudodiva nur falscher Anerkennung durch die weniger begabten Gesangstalente dieses Abends umgeben wird!

Anonym hat gesagt…

Also ich weiß auch nicht, wo auf einmal diese schlechte Stimmung herkommt...

Anonym hat gesagt…

na okay, ihr habt ja recht: die welt ist scheiße. und alle erdenbewohner auch.

aber ich möchte betonen, daß meine nachbarn NICHT unschuldig sind! ganz und gar nicht! diese hutzelrosine von frau scheufler, die nicht mal ihre letzten tage richtig zählen kann und mich deswegen anblafft - nein nein, frl. bonette... und überhaupt, wann genieße ich denn die sonne? schweineria ist das.

Anonym hat gesagt…

Meine Sozialisation bedingt einen gewissen Grad an Antiamerikanismus ... das hat nichts mit Mode zu tun... I just can't help it! Die Strandmutti abonniert nach wie vor die Parteizeitung... rote Socke!

Allerdings bin ich gleichzeitig großer Fan amerikanischer Unkultur in Gestalt des TV!!! Was würde ich nur ohne amerikanische Serien tun???